Part 20

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Bitte nicht. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, während das Schweigen zwischen Paul und mir unerträglich laut wurde. Er sah mich immer noch an, aus seinen blauen Augen, die mir so vertraut waren und mit denen er vermutlich mindestens jedes zweite Mädchen schwach werden lassen konnte. Wenn er lächelte, so richtig und von Herzen, dann auf jeden Fall.

„Du musst nichts sagen.", sagte er, schlug die Augen nieder und drehte die Flasche in seinen Händen. Mir war, als bohre jemand mit einem Eispickel in meinen Eingeweiden herum. Paul so offensichtlich verletzt zu sehen- meinetwegen- ging mir durch und durch. So sehr ich auch nach Worten suchte, die ihm hätten beschreiben können, wie ich wirklich dazu stand, auf eine Weise, die er wirklich verstehen könnte- sie fielen mir nicht ein.

„Ich habe darüber nie nachgedacht.", sagte ich stattdessen und fühlte im gleichen Moment, dass das nur ein Teil der Wahrheit war, und ganz sicher nicht der Teil der Wahrheit, der ihn trösten würde.

Er nickte. „Ich weiß."

Wir schwiegen wieder und ich schob nach einer Weile meine Hand über den Tisch auf seine zu. Dankbar ergriff ich sie, als er seine nicht wegzog. „Wir sind zu sehr wir."

„Ich weiß. Ich wollte auch nicht, dass das passiert." Er sah auf meine Hand, die auf der seinen ruhte.

„Seit wann?" Ich hatte nie irgendetwas geahnt und fragte mich, ob Paul seine Gefühle gut versteckt hatte oder ich nicht mitgekriegt hatte, was um mich herum passierte.

„Keine Ahnung." Er seufzte. „Als du weggegangen bist, da hast du mir einfach gefehlt. Als du dann wieder da warst, da habe ich gemerkt, dass ich nicht möchte, dass du nochmal gehst." Er lächelte so traurig, dass sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog.

„Ich gehe auch nicht mehr weg." Meine Stimme brach am Ende des Satzes weg. „Ich habe das mit uns nur wirklich niemals als Möglichkeit gesehen."

„Offensichtlich nicht." Sein Daumen fing meinen kleinen Finger ein und er strich vorsichtig darüber. „Ist schon okay."

Ich spürte die Berührung nach und widerstand mühsam dem Drang, mein Gesicht in den Händen zu vergraben und zu weinen. „Warum hast du nicht eher was gesagt?"

„Ernsthaft?" Er seufzte leise. „Kim, ich wusste, dass dieses Gespräch genauso laufen würde. Morgen müssen wir gucken, wie es weitergeht und sind beide peinlich berührt, wenn wir uns sehen. Dann wirst du nicht mehr mit mir Filme gucken und hier einschlafen. Du wirst es vielleicht probieren, aber es wird nicht mehr sein wie vorher. Du wirst mir noch weniger als vorher darüber erzählen, ob du jemanden kennenlernst, den du magst. Wir sind nicht mehr wir." Ich hörte den Schmerz in seiner Stimme heraus und bereute, dass ich diese Frage überhaupt gestellt hatte.

„Wir müssen aber wir bleiben.", beharrte ich und schaute auf seinen Daumen, der mittlerweile ruhig über meinen Handrücken strich. „Paul, ich brauche dich- und ich brauche uns. Genauso, wie wir sind." Ich dachte daran, wie ich auf der Fensterbank gewartet hatte. Am Vorabend erst. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Wie ich mir Sorgen gemacht hatte. Wäre irgendetwas gewesen, wäre er betrunken und völlig zerstört wieder aufgetaucht, ich wäre für ihn da gewesen. Und ich wusste, dass es umgekehrt genauso gewesen war. Paul war da, wenn ich jemanden brauchte, meistens auf genau die Art und Weise, wie ich dann jemanden brauchte. Aber nicht nur dann. Mit niemandem sonst genoss ich es so, auf Turnieren auf der Tribüne herumzuhängen. Müde und nervös, die obligatorischen Turnierpommes in der Hand. Bei niemandem sonst konnte ich mich über meine Eltern beschweren, der mich tatsächlich verstand. Und bei niemandem sonst konnte ich mich so bedingungslos darauf verlassen, dass er einfach da war. Wir stritten- und wir vertrugen uns. Wir kannten einander so gut und so lange, dass es keine Option war, plötzlich einfach nicht und nie mehr Kim und Paul zu sein. Mit ihm war ich einfach nie alleine.

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