Paul schwieg noch immer, als ich das Auto abstellte und den Schlüssel abzog.
„Sag was.", sagte ich leise und sah ihn zum Zerreißen gespannt an. Er öffnete den Mund, setzte an, schloss ihn wieder und schüttelte den Kopf, bevor er endlich etwas sagte.
„Okay.", sagte er, wobei er das O in die Länge zog und sich mit der Hand die Haare zerraufte. Ein zweifelnder Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Gratuliert man dazu? Ich weiß nicht..." Er schloss kurz die Augen. Ich starrte ihn immer noch an, nervös, und wusste dabei selbst nicht so richtig, was ich von ihm so unbedingt hören wollte, dass ich erwartungsvoll an seinen Lippen hing. Wobei- das stimmte nicht. Ich wusste es schon.
„Ich hätte nicht damit gerechnet, dass die Entscheidung jetzt doch so schnell fällt.", sagte Paul und räusperte sich. „Ich meine..." Er machte eine Pause und als er den nervösen Blick auf meinem Gesicht sah, atmete er durch, rollte seine Schultern zurück und nickte mir zu. „Du wirst das gut machen. Und es ist gut, dass du eine Entscheidung für dich getroffen hast." Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln und ich fühlte mich, als habe er mir den Gros Caillou vom Herzen geräumt. Ich hatte ihn bei sich zuhause eingesammelt, mit seiner Familie- inklusive seines Großvaters und beider Großmütter- Kaffee getrunken. Währenddessen hatte ich kaum stillsitzen können, weil mir die ganze Zeit mein Zukunftsplan auf der Zunge gelegen hatte- und ich hatte einfach hören müssen, dass er wirklich, so wie er es mir versprochen hatte, hinter mir stand. Kaum, dass er seinen Rucksack ins Auto geworfen und die Beifahrertür geschlossen hatte, hatte ich ihm von meinem Entschluss erzählt- aufgeregt, viel zu überdreht und mit genau dieser bestimmten Übelkeit im Bauch, die mich immer dann befiel, wenn ich auf krasse Aufregung zu starken Kaffee trank. Jetzt erst, wo er lächelte und ich mir sicher war, dass seine Augen aufrichtig mitlächelten, wurde es besser.
„Danke.", sagte ich leise und schob meine Hand über seine.
Er beugte sich zu mir herüber und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe und ich hörte das breite Grinsen in seiner Stimme, als er fragte: „Was kommt in deine Schultüte, Kim-Marie?"
„Fange damit nicht an.", fuhr ich ihn an und schlug ihm fester auf die Finger, als ich beabsichtigt hatte.
„Womit? Mit der Schultüte oder mit Kim-Marie?" Er lachte, als ich mich kopfschüttelnd losriss und ausstieg.
„Du hast über Weihnachten zu viel mit Pia telefoniert, oder?", beschwerte ich mich.
„Während du über deinen ersten Schultag nachgedacht hast, musste ja jemand die wirklich wichtigen Dinge planen."
Ich öffnete den Kofferraum und er nahm seinen Rucksack heraus.
„Die wirklich wichtigen Dinge? Die da wären?"
„Pias Besuch, zum Beispiel."
„Zum Beispiel?", hakte ich ungeduldig nach, weil er immer noch grinste und ich ihm ansah, dass er mir nicht die ganze Wahrheit erzählte.
„Zum Beispiel.", bekräftigte er, warf sich den Rucksack über die linke Schulter und ging, ohne sich zu vergewissern, dass ich ihm folgte, mir voraus zur Haustür.
„Du kriegst übrigens noch ein Weihnachtsgeschenk.", rief ich ihm hinterher, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
„Ich weiß, dass es unter meinem Bett liegt.", rief er zurück und drückte die Tür auf.
„Falsch.", erwiderte ich triumphierend und genoss, als er sich umdrehte und ihm die Neugier auf die Stirn geschrieben stand. „Dein Weihnachtsgeschenk hat ein krasses Upgrade erfahren.", fügte ich an und spürte, trotz der diebischen Freude über die Ratlosigkeit auf seinem Gesicht, einen wehmütigen Stich in meinem Inneren. „Es steht im Stall und hat zwölf Beine.", schob ich hinterher und obwohl ich es nicht wollte, obwohl ich es noch Sekunden vorher nicht hatte kommen sehen, geriet mein Lächeln mit jeder Sekunde, die er dastand, den Türknauf in der Hand während ihm ohne weitere Worte klar wurde, worüber ich sprach, immer wackeliger. Während über sein Gesicht abwechselnd Unglauben, Angst und unbändige Freude zuckten, hörte ich mich leise „Frohe Weihnachten, Paul." sagen.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...