Für einen Augenblick wirkte sie getroffen, aber dann schüttelte sie den Kopf und fuhr unbeeindruckt fort. „Wenn du ihn echt nicht willst, dann fein. Wenn du ihn nicht willst, weil irgendein Depp sich benommen hat wie die Axt im Walde- dann reiß dich zusammen. Ewig ist Paul nicht zu haben."
„Soll das eine Drohung sein?" Frei nach dem Motto- wenn ich ihn nicht haben wolle, würde sie doch wieder einsteigen. Zum Glück ließ ich es trotz Schnaps unausgesprochen.
Pia blinzelte verwirrt. „Ich bin aus der Paul-Geschichte seit Jahren raus, Kim- und zwar endgültig." Sie lächelte, als sie aufstand. „Und ich rede auch nicht von Jenny. Ich sage nur, dass irgendwann eine kommen wird, für die er den richtigen Tee einkauft und Jenny fallen lässt. Und selbst wenn ihr bis dahin das aktuelle Chaos zwischen euch bewältigt habt- danach ist eh nix mehr wie vorher."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich kochte vor Wut, weil Pia sich so ungefragt einmischte, weil sie meinte, sie durchblicke genau, was zwischen Paul und mir los war und vergaß, dass sie noch nicht Psychologie studierte und in mir lesen konnte wie in einem offenen Buch. Dann aber war es Pia- und Pia war schon immer ziemlich direkt gewesen. Wäre das Verhältnis zwischen ihr und mir nicht gerade erst wieder aufgelebt, ich wäre ausgerastet. So riss ich mich mühsam zusammen. „Soll doch eine kommen", sagte ich, bemühte mich um einen lässigen Ton und stand ebenfalls auf. „Dann kannst du dich davon überzeugen, dass es mir nichts ausmacht."
„Ich tröste dich nicht.", sagte sie, lächelte versöhnlich und streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie, obwohl ich sauer war und wir gingen gemeinsam zu den anderen zurück. Das hieß, sie ging, ich hielt mich an ihrer Hand fest und konzentrierte mich darauf, meine Füße gerade voreinander zu setzen. Vom Rest der Unterhaltung bekam ich nicht viel mit. Der Schnaps haute zeitverzögert ziemlich rein und machte mich so müde, dass ich meinen Ellbogen auf dem Tisch aufsetzte, mein Kinn auf die Hand abstützte und versuchte, zumindest noch so zu tun, als würde ich noch aufmerksam zuhören. Dabei dachte ich eigentlich darüber nach, was Pia gesagt hatte. Nicht über Paul- aber über Thomas. Ich fragte mich, ob sie damit Recht hatte, dass ich Angst davor hatte, jemanden an mich heranzulassen. Vielmehr- ob ich Angst davor hatte, mich nochmal so angreifbar zu machen. Hatte ich Angst davor, dass sowas nochmal passierte? Mein betrunkener Kopf trug wenig Aufschlussreiches zu den Fragen bei, mein Magen war da deutlicher. Ich merkte wie er sich bei dem Gedanke, dass ich mich nochmal so betrogen fühlen würde, schmerzhaft zusammenzog. Was für ein Wunder. Um mir zuzugestehen, dass ich auf eine Wiederholung keine Lust hatte, musste ich nicht Pia sein. Ich seufzte und spürte einen Augenblick später Pauls Blick auf mir ruhen, der mich skeptisch ansah. Ich lächelte ihm zu und er schien beruhigt. Würde ich ihm wirklich zutrauen, eine ähnlich miese Nummer abzuziehen wie Thomas- und das noch mir gegenüber? Eigentlich nicht. Eigentlich hielt er seine Klappe, wenn es um die Mädels ging, mit denen er was hatte- oder auch nicht. Zumindest mir gegenüber schwieg er sich da ja eher aus. Ich war mir sicher, dass er ziemlich heftig reagiert hätte, wenn ich ihn aus München angerufen und ihm erzählt hätte, wie das mit Thomas wirklich auseinander gegangen wäre. Genau deswegen hatte ich schließlich meinen Mund gehalten- ich hatte einfach nur gewollt, dass die Geschichte sich schnellstmöglich beruhigte und in Vergessenheit geriet. Ganz sicher hatte ich sie nicht mit nach Hause zu meiner Familie und Paul nehmen wollen. Angst davor, dass das mit ihm und mir- wenn wir es denn versuchen würden- so enden würde, hatte ich eigentlich nicht. Es war mehr der Gedanke daran, dass ich dann wohl kaum noch einen Paul hätte, zu dem ich zurückkehren konnte, wenn es dann nochmal schiefging. Ich machte mir nichts vor- ich hatte München unter Anderem so lange so gut verdrängen können, weil ich einfach nach Hause gekommen war, weil dort alles so gewesen war wie früher. Weil Paul da gewesen war, mit dem ich nahtlos an unsere Freundschaft hatte anknüpfen können und mit dem mich spätestens seit Pias Verschwinden mehr verband als eine normale Jugendfreundschaft. Ich blinzelte eilig, als ich eine Träne in meinem Augenwinkel bemerkte und tauchte eilig aus meiner Gedankenwelt auf.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...