Part 152

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Die ganze Nacht über hatte ich wachgelegen und war im Kopf wieder und wieder das Gespräch durchgegangen. Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender und desto verletzter war ich. Ich hatte Mist gebaut, ja. Ich hätte niemals sein Handy nehmen und spionieren dürfen. Ich verstand, dass er eifersüchtig war und mich nicht gern gehen sah. Und hätte er es geschafft mir das zu sagen, ohne mir zu unterstellen, ich würde ihn dort entweder betrügen oder einfach gar nicht mehr zurückkommen, ich wäre wahrscheinlich geblieben. Ich hatte so wenig von ihm weggewollt. Hätte er es geschafft mir zu sagen, dass er sich nicht vorstellen konnte, mich ein halbes Jahr lang kaum zu sehen- ich hätte es kaum über mich gebracht, das zu ignorieren. So jedoch rief ich am nächsten Morgen noch vor acht Benthe an. Aus Rache, aus verletztem Stolz und nicht zuletzt auch, weil ich wirklich Sehnsucht hatte. So wenig überrascht wie sie klang, war ich mir fast sicher, dass meine Mutter sie vorgewarnt hatte. Sie ließ sogar die Frage, ob meine Eltern denn einverstanden wären aus. Stattdessen fragte sie, warum ich das machen wolle und als ich ihr erklärte, wie viel Spaß es mir gemacht habe, bei ihr zu reiten, fernab von Erwartungsdruck, da hatte sie zugestimmt. Natürlich wäre ich willkommen, jederzeit. Wir sprachen eine ganze Weile darüber, wie ich mir das vorstellte und was wie erwartete und am Ende blieb eigentlich nur noch die Frage offen, ob ich quasi sofort oder erst Anfang März kommen wolle. Ich versprach ihr, das mit meinen Eltern abzusprechen und musste heftig schlucken, als sie zum Abschied sagte, dass mein Freund natürlich jederzeit willkommen sei. Nicht, dass sich da noch Abschiedsschmerz einstelle. Das könne sie ja nicht verantworten. Sie lachte dabei.

„Sage ich ihm.", entgegnete ich ziemlich lahm, bedankte mich bei ihr und legte auf. Und trotz all der Wut und Enttäuschung, die ich wegen Paul spürte, trotz der Angst, dass Renesse einen gewaltigen Keil zwischen uns treiben könnte, war genug Vorfreude da, um Marieke zu schreiben, dass wir uns früher als gedacht wiedersehen würden.

Das Gespräch mit meinen Eltern zu dem Thema war kurz ausgefallen: meine Mutter hatte nach unserem Gespräch vom Vorabend sowieso keine Einwände und mein Vater, von ihr vorgewarnt und vermutlich auch eingenordet, fragte -wenn auch mit kritischem Gesichtsausdruck- wie ich mir die Zeit bei Benthe vorstellte. Ich erzählte ihm davon, wie Benthe und ich am Telefon verblieben waren und er nickte, konnte aber nicht umhin am Ende mahnend den Zeigefinger zu heben und mich daran zu erinnern, dass Benthe eine alte Freundin der Familie war. „Lass sie dann nicht plötzlich hängen, weil du Heimweh nach deinem Casanova kriegst.", sagte er sehr eindringlich. „Das kannst du nicht machen, klar?"

Heimweh nach deinem Casanova. Das piekste- jetzt, wo Renesse quasi geregelt war und mir langsam ins Bewusstsein drang, dass ich meine Koffer packen und für die nächsten Monate nach Holland ziehen würde und Paul noch nicht einmal richtig davon wusste- ganz schön. Wie war das plötzlich passiert? Ungläubig und überwältigt von den durcheinanderwirbelnden Gefühlen, die einfach nicht miteinander in Einklang zu bringen waren, nickte ich und verabschiedete mich in den Stall. Meine Mutter runzelte die Stirn und fragte, ob wir zusammen eine Runde durch den Wald drehen wollten, aber ich schüttelte den Kopf und behauptete, dringend Dressurarbeit mit den jungen Pferden machen zu wollen.



Das machte ich dann auch. Ich verbrachte den ganzen Tag auf dem Dressurplatz und nutzte so das trockene Wetter, um Paul aus dem Weg zu gehen. Sogar Daytona, der fast die Augen aus dem Kopf fielen und die vor Aufregung kaum noch taktrein traben konnte, ritt ich am späten nachmittags bei aufziehendem Wind und angeschaltetem Flutlicht draußen. Sie brauchte wirklich zwanzig Minuten, bevor sie den Kopf fallen lassen konnte und anfing, ans Gebiss heranzuziehen und damit ließ ich es gut sein. Die Stute hatte genug zum Nachdenken und Verarbeiten, ich war durchgefroren und nicht zuletzt bemerkte ich Lukas an der Umrandung, der mir demonstrativ mit seinem Autoschlüssel winkte. Vorsichtig parierte ich durch, ließ die Zügel ein kleines Stück durch die Finger rutschten und ritt zu Lukas herüber.

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