Part 122

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Als Pauls Handy geklingelt hatte, weil sein Vater vor Fias Box stand, war ich mit ihm zurück in den Stall gegangen. Normalerweise hätte ich darüber gelacht, wie unbeholfen Pauls Vater Fia den Hals tätschelte, die unterdessen ihren Kopf in einer Schüssel mit Möhren, Äpfeln und gekochtem Leinsamen versenkte und zufrieden grunzte, was so gar nicht zu Fias sonst eher zurückhaltendem Wesen passen wollte. Stattdessen lächelte ich eher angestrengt und versuchte mit aller Gewalt, nicht an einzelne rote Herzen zu denken. Paul erzählte, erst fast widerstrebend, dann mit einem immer zufriedeneren Gesichtsausdruck, was er mit Fia diese Saison alles erreicht hatte und sprach gegenüber seinem Vater sogar die Summe aus, die ihm im Sommer für Fia geboten worden war. Nicht nur Pauls Vater, auch mir klappte fast die Kinnlade herunter. Nicht, dass ich nicht wusste, wie teuer Pferde werden konnten, die erfolgreich im Sport liefen- oder zumindest vielversprechend waren- aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand für die junge Stute so tief in die Tasche greifen würde. „Junge, packe der gut die Gräten ein.", murmelte Pauls Vater und sah fast ein bisschen blass aus, während er in die Box und auf Fias schlanke Beine schielte.

„Was denkst du denn?", entgegnete Paul und schüttelte augenrollend den Kopf. „Ich habe nur eine Fia, die muss halten." So hart wie er das auch sagte, seine Augen verrieten, wie sehr er die Stute mochte, als er seine Finger ausstreckte und die Fuchsstute versuchte, seine Hand mit der Oberlippe einzufangen. „Frohe Weihnachten, du Kasper."

Wir hatten noch ein paar Minuten bei Fia gestanden, bevor wir zum Haus herüber gegangen waren, damit Paul seine Sachen holen konnte. Sein Vater hatte schließlich mit einem bedeutungsschweren Blick in Pauls Richtung verkündet, er würde schonmal vorgehen zum Auto und uns alleine gelassen.

„Tja...", sagte ich. Meine Stimme klang seltsam hohl, während ich immer noch angestrengt nicht an rote Herzen dachte.

„Tja...", erwiderte Paul und stellte sich lächelnd direkt vor mich. „Frohe Weihnachten, Blondie." Er legte mir seine Fingerspitzen unters Kinn und hob mein Gesicht leicht an, bis ich ihm in die Augen sehen musste.

„Frohe Weihnachten.", sagte ich und legte ihm eine Hand an die Wange, während ich inständig hoffte, dass Jenny das nicht auch noch manchmal tat.

„Dein Geschenk kriegst du, wenn ich zurück bin. Vor Weihnachten geht gar nicht.", erwiderte er und stupste mir sacht gegen die Nasenspitze. „Das ist schlimmer als vorzeitiges Gratulieren zum Geburtstag."

„Stimmt.", murmelte ich ohne es zu meinen. Mein Geschenk für ihn hatte ich unter seinem Bett versteckt, weil ich es ihm eigentlich vor seiner Abfahrt hatte geben wollen.

„Wenn irgendwas ist, rufe mich an.", sagte er und seine Augen funkelten mich so warm und zufrieden an, dass ich mich mit meinen Zweifeln nicht nur einsam und ängstlich, sondern furchtbar mies fühlte. Als ob er das ernsthaft bringen würde.

„Was soll schon sein?", fragte ich zurück und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen.

„Schlechtes Essen, schlechte Geschenke, die bucklige Verwandtschaft...", spekulierte er, wurde aber schnell ernst. „Rufe mich wirklich an, wenn es dir nicht gut geht. Ich bin im Nachbarort und nicht im Ausland- ich komme, wenn was ist."

Ich wusste, dass er die Panikattacke vom Vorabend im Kopf hatte und nickte langsam. „Wird schon entspannt. Aber..." und damit stellte ich mich nochmal auf die Zehenspitzen und schlang ihm meine Arme um den Hals. „...wenn du dir zu große Sorgen machst, dann rufe an. Ich bin im Nachbarort und nicht im Ausland- ich komme dann zu dir."

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Es war fast fünf Uhr gewesen, als ich mit meiner Mutter das Stalltor zugezogen hatte. Ich hatte danach noch bei mir geduscht und war dann in meiner gemütlichsten Jogginghose und dem wärmsten, weichsten Pullover nach oben gegangen. Meine Haare hatte ich in einem absolut wilden Knoten zusammengedreht und meine Füße steckten in uralten Wollsocken, die die Mutter meines Vaters vor Jahren für mich gestrickt hatte. Als ich die Wohnungstür aufschloss, es drinnen nach Punsch roch und ich sah, wie meine Mutter mit dem Weihnachtsbaum kämpfte, atmete ich durch. Jetzt war Weihnachten. Felix reichte ihr mit einer Hand Baumschmuck an, mit der anderen angelte er einen Spekulatius nach dem nächsten aus der Packung. Mein Vater stand in der Küche und kümmerte sich ums Käsefondue. Normalerweise hätte Lukas ihm dabei geholfen, aber als ich meinen Vater nach ihm fragte, deutete er nur auf die geschlossene Tür zum Arbeitszimmer.

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