Part 60

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Tatsächlich duschte ich mich kalt ab, sobald ich im Haus war. Das kühle Wasser half, aber nur genau so lange, wie es lief. Schon beim Abtrocknen fing ich wieder an zu fluchen. Entweder war ich empfindlicher geworden oder die Sonne krasser- ich hatte mich jedenfalls noch nie so verbrannt bei der Arbeit. Vorsichtig tupfte ich mein Gesicht trocken, schmierte meine Arme, mein Gesicht und meinen Hals dick mit einer angeblich kühlenden Bodylotion ein, zog eine frische Reithose und ein möglichst lockeres T-Shirt an und ging zu Paul rüber. Er hatte seine Tür offengelassen und als ich fragend den Kopf durch die Tür steckte, sah ich ihn auf der Fensterbank am offenen Fenster sitzen. Wenigstens wehte so ab und zu ein angenehmer Luftzug durchs Zimmer.

Als er mich bemerkte, hob er das Glas in seiner Hand. „Apfelschorle steht im Kühlschrank. Kannst dir einfach was nehmen."

Ich ließ es mir nicht zweimal sagen, holte mir ein Glas und kletterte zu ihm auf die Fensterbank. Kurz hatte ich überlegt, ob ich ihn küssen sollte- ob er das erwartete. Ich fragte mich das nicht, weil ich das nicht gewollt hätte, sondern vielmehr, weil es so ungewohnt war. Gerade hier zuhause, gerade bei der Arbeit oder wenn wir uns wie jetzt in der Mittagspause sahen war es wie immer- und wir hatten uns nie geküsst. Überhaupt war ich mir nicht sicher, was mein „Ja" vom Vortag bedeutete. Er war klar gewesen, als es darum ging, was er längerfristig wollte und genau dazu hatte ich mich bekannt. Mein Herz tat einen kleinen Hüpfer, als ich darüber nachdachte. Und über die Küsse vom Vortag. Aber was war mit dem jetzt? Was waren wir jetzt? Was wollte ich jetzt?

„Du siehst noch schlimmer aus als vorhin.", sagte er vorsichtig und zog seine Füße eng an seinen Körper, um mir Platz zu machen. „Ich hab' noch so eine rezeptfreie Cortisonsalbe, wenn es richtig fies wird, gebe ich dir die wohl."

„Passt schon.", gab ich zurück. „Ich glaube, ich ziehe mir heute Nachmittag einfach was langärmliges an und bleibe in der Halle. Ich verstehe einfach nicht, warum das so heftig ist geworden ist." Unglücklich hielt ich das kühle Glas gegen meine Wange. „Gestern bin ich auch nicht so verbrannt."

„Gestern warst du eingecremt. Das könnte des Rätsels Lösung sein, oder?" Er grinste und ich widerstand mühsam dem Drang, ihm die Zunge herauszustrecken. Er hatte ja Recht.

„Ich wollte heute eigentlich noch zum Friseur. Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt noch eine gute Idee ist. Wenn ich mir vorstelle, dass irgendwer versehentlich mit einem Kamm meinen Nacken ankratzt..." Auch ohne, dass ich es mir zu genau vorstellte, stach und juckte meine Haut unangenehm.

„Was ist eigentlich wirklich mit deinen Haaren passiert?", fragte Paul und nickte. „Ich meine, das sie ab sind, das kann ich sehen." Er verzog unglücklich sein Gesicht. „Aber wieso?"

„Musste sein.", sagte ich ausweichend und zuckte mit den Schultern. Ich erinnerte mich noch genau an das Gefühl, dass ich gehabt hatte, als ich in Lukas' Badezimmer in den Spiegel geschaut und mir eine seltsame, misstrauische Version meines Ichs entgegengeblickt hatte. Eine, die Paul sicher gestern nicht geküsst hätte.

„Ich mochte deine Haare.", sagte er seufzend und trank einen Schluck.

„Sie haben dich gestern nicht gestört.", erwiderte ich und spürte, wie mir im gleichen Moment das Blut in die Wangen schoss. Dank des Sonnenbrands blieb das Paul garantiert verborgen.

Er lachte leise. „Ne, haben sie nicht, das stimmt." Er sah mich an, sah nach unten auf den Hof und schüttelte leicht den Kopf, immer noch ein Lächeln auf den Lippen.

„Was?"

„Ich habe nur an gestern gedacht. Als du noch nicht knallrot warst."

„Du..." Ich drohte gespielt mit der Hand. Er fing sie gelassen mit seiner freien Hand ein und hielt sie beiläufig fest.

„Du hast immer noch nicht gesagt, warum du deine Haare abgesäbelt hast.", hakte er nach. Ich hatte keine Ahnung, ob mein Handrücken unter seiner Berührung prickelte oder ob meine entzündete Haut durchdrehte und ich ihn dringend um diese blöde Salbe bitten sollte.

„Das war vielleicht eine Kurzschlusshandlung.", erwiderte ich, während mein Blick zu unseren Händen wanderte. „Ich habe Lukas gebeten, sie abzuschneiden."

„Lukas? Bist du wahnsinnig? Wieso das denn?" Ungläubig starrte er mich an.

„Weil es ein Notfall war." Ich ergab mich mit einem Seufzen und erzählte ihm von meinem Besuch. Von Lukas und Marie, davon, dass ich Lukas alles über meine Ausbildungszeit und Thomas erzählt hatte. Nicht zuletzt von meinem Eindruck, Lukas wäre so viel freier als ich und schließlich vom dem Moment im Badezimmer, als ich ihn gedrängt hatte, mir meine Haare abzuschneiden. Ich war mir nicht sicher, ob Paul verstand, was ich in dem Moment gefühlt hatte. Ich war mir selbst nicht ganz sicher, ob ich das begriff. „Jedenfalls hatte ich das Gefühl, ich muss mal was für mich machen. Ich habe mich angesehen und gedacht, dass ich dieses in die Ecke gedrängte Ich nicht mehr sein will. Weißt du, ich versuche schon so lange, bloß niemanden zu verärgern, bloß nicht aufzufallen, keine Angriffsfläche zu bieten und einfach Erwartungen zu erfüllen. Dann sehe ich Lukas, der macht was er will und was er meint, was gut für ihn ist. Ich will das auch. Verstehst du das? Zumindest so ein bisschen?"

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