Bis der letzte Reiter durch war, erzählte ich Marieke wer Jenny war. Als dann der letzte Reiter durch war und feststand, dass Paul wirklich gewonnen hatte, rief ich ihn ungeachtet ihres Protests an.
„Ich würde ihn sonst auch anrufen, wenn er gewinnt.", murrte ich nur und lauschte angestrengt dem Freizeichen, während ich erfolglos gegen den Druck in meinem Magen anatmete. Was machte Jenny in Mannheim? Ich wusste, dass sie nicht selbst ritt. Ihr Heimatort war zu weit weg für eine kurze, freundschaftliche Stippvisite am Samstagnachmittag. Und sonst? Was hätte sie sonst da zu suchen haben können? Frustriert legte ich auf, als Paul nicht abhob und als fing noch frustrierter an mit meinen Backenzähnen zu knirschen, als ich ein paar Minuten später das Besetztzeichen zu hören bekam.
Marieke verdrehte nur demonstrativ die Augen. „Der hat zu tun, Mäuschen. Siegerehrung, Pferd versorgen, Chef anrufen, meinetwegen auch Bier trinken. Der meldet sich noch."
„Ich weiß, ich..." Ich kämpfte den unbedingten Drang nieder, es wieder und wieder zu versuchen und legte mein Handy zur Seite. „Ich wollte ja nur gratulieren."
„Und sicherstellen, dass er seine Finger von dieser Jennifer lässt?"
„Jenny. Und nein, das wollte ich nicht.", log ich und fühlte mich ziemlich bloßgestellt. Ich hatte nicht damit gerechnet, so viel Gegenwind von Marieke zu bekommen.
„Oh doch.", sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Mein ernstgemeinter Rat: Rufe ihn heute Abend an und erinnere ihn daran, dass du seine Freundin bist. So ganz ohne eifersüchtiges Drama." Sie knüllte die leere Chipstüte zusammen und richtete sich auf. „Da habt ihr dann wenigstens beide was von und du wirst diese Zornfalte los. Die steht dir echt nicht."
Ich war nach Hause zu Benthe gefahren, hatte mich dort aufs Bett geworfen und nochmal versucht, Paul zu erreichen. Als das wieder nicht geklappt hatte, hatte ich frustriert mein Handy auf den Boden gelegt und mich auf dem Bett eingerollt, während meine Gedanken eine wilde und unkontrollierte Achterbahnfahrt hinlegten, an deren Ende ich hätte heulen mögen. Als Paul dann wirklich zurückrief, gut zwei Stunden nachdem ich ihn hatte aus dem Parcours traben sehen, war ich einfach zu aufgewühlt, um mir nichts anmerken zu lassen. Paul, der auf mein lahmes „Glückwunsch" damit reagierte, mir begeistert jede Wendung und jeden Sprung zu erklären und zu betonen, wie unfassbar Lolo gesprungen war, überhörte meine schlechte Stimmung genau so lange, bis er mir dafür dankte, dass er die Früchte meiner Arbeit mit dem Wallach ernten dürfe. Als ich an der Stelle nur desinteressiert mit den Schultern zuckte und für einen Augenblick vergaß, dass Paul mich nicht sehen konnte, wurde sein Ton schlagartig ernster und er fragte, ob alles in Ordnung sei.
„Klar doch.", erwiderte ich und zuckte selbst fast vor der Bissigkeit in meiner Stimme zurück. Ich hörte ihn leise seufzen.
„Sorry, dass ich erst jetzt zurückrufe. Ich war hier einfach busy."
„Aha. Busy.", sagte ich sarkastisch.
„Du, hier war viel los. Lolo versorgen, dann...
„Siegerehrung reiten, Chef anrufen und Bier trinken.", nutzte ich Mariekes Worte und schloss die Augen, während ich auf dem Rücken liegend meine Knie an den Körper zog.
„Ja, Kim. Genau das." In Pauls Stimme mischte sich Ärger. „Du kennst es doch. Bist du ernsthaft pissig, obwohl ich dich bei der allerersten Gelegenheit zurückgerufen habe?"
„Hast du das?" Die Stille, die eintrat, war gerade wegen der fehlenden Worte unendlich wütend. Ich hörte ihn atmen und zog die Knie noch weiter an meine Brust.
„Was meinst du damit?", fragte er schließlich und mit seiner Stimme hätte man durch Stahl schneiden können.
„Du kannst Jenny liebe Grüße ausrichten.", murmelte ich leise und bekam dabei kaum meine Zähne auseinander. Wieder Stille. Vorsichtig rollte ich über meinen unteren Rücken, das Handy fest an mein Ohr gepresst. Das er nicht erwähnte, dass sie da war, machte das Ganze noch unerträglicher für mich. Er verheimlichte es- und für mich gab es nur einen Grund, warum er ihre Anwesenheit verheimlichen wollte.
„Weißt du was, Kim?", fragte er schließlich in einem barschen Tonfall. „Das mache ich. Soll ich ihr was ausrichten?"
„Du kannst ihr einen schönen Abend von mir wünschen.", sagte ich. Meine Stimme klang dabei seltsam hohl und gleichgültig.
„Du...", setzte Paul aufgebracht an, bevor er sich unterbrach. „Du hast mein Handy durchleuchtet und glaubst immer noch, dass zwischen uns was läuft?"
Woher sollte ich wissen, was seitdem passiert war. Mit Zeigefinger und Daumen meiner freien Hand rieb ich mir über die Schläfen. „Warum hast du nicht einfach gesagt, dass sie da ist?"
„Weil es unwichtig ist.", antwortete er unbeherrscht. „Weil es nicht geplant war. Soll ich dir eine Liste mit allen Leuten schicken, die hier sind?"
Unwichtig- ich fand das nicht unwichtig und nach unserer Vorgeschichte glaubte ich nicht daran, dass er es für unwichtig hielt zu erwähnen, dass Jenny da war. „Wenn noch mehr Jennys da sind..." Der unbestimmte Vorwurf, der in meiner Stimme mitschwang war die Retourkutschte für die Vorwürfe, die er mir vor Renesse gemacht hatte und gleichzeitig ein sehr bewusstes Kratzen an einer sehr empfindlichen Stelle. Es war derselbe Vorwurf, mit dem ich unmittelbar nach unserem ersten Kuss beinahe alles was zwischen uns war in die Luft gesprengt hätte und ich wusste in dem Moment, in dem ich ihn wiederholte, dass die Feuerwehr dieses Mal nicht ausrücken würde. Pia würde mich umbringen. Für den Bruchteil einer Sekunde war es mir egal und ich genoss das verletzte und beleidigte Schweigen auf der anderen Seite, ich wollte die Explosion, ich wollte streiten, ich wollte, dass er sich entschuldigte- aber er legte kommentarlos auf. Statt Stille, statt wütender Konfrontation, tutete nur mein Handy in mein Ohr.
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Sorry fürs Kurzzeitbremsen, aber Kim musste erstmal ein bisschen vor sich hinköcheln, um so schön hochgehen zu können
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...