Wir diskutierten das für nichts noch eine ganze Weile und je länger wir darüber sprachen, desto mehr verstand ich auch, wie Lukas zwar mit Inga abgeschlossen hatte, auf der anderen Seite aber an der Zeit mit ihr festhielt. Ich verstand, wieso er Marie vielleicht wirklich gemocht hatte, es aber nicht genug gewesen war- und vielleicht auch wirklich zu früh.
„Meinst du,", fragte ich ihn. „dass es vielleicht einfach nicht der richtige Zeitpunkt ist? Für Paul... und mich?" Es fühlte sich komisch an, das auszusprechen- Paul und ich. Ich hatte keine Ahnung, ob es ein Paul-und-ich gab. Schon gar nicht nach unserem Streit. Lukas nahm sich Zeit, bevor er antwortete und rupfte dabei gedankenverloren ein paar Grashalme ab.
„Vielleicht. Vielleicht wäre das zwischen euch in ein paar Monaten alles ganz easy gelaufen. Vielleicht hätte er wen anders kennengelernt. Vielleicht zwingt die Sache zwischen euch dich aber auch, dich mal damit zu beschäftigen, was dir passiert ist." Er lächelte. „Meinst du nicht? Sonst wärst du ja wohl kaum hier."
Vielleicht. Seufzend schüttelte ich den Kopf. „Ich würde mich ganz gerne nicht damit beschäftigen.", sagte ich und sah ihn an. „Ich wollte es eigentlich nur vergessen."
„Klappt aber nicht, oder?" Lukas stand auf, reichte mir seine Hand und zog mich ebenfalls auf die Füße. „Ab nach Hause?"
Ich nickte. „Meinst du nicht, wenn ich einfach länger Zeit gehabt hätte, wenn ich..."
„Nein.", unterbrach Lukas mich schlicht und zuckte mit den Schultern. „Ich habe genug Erfahrung mit dem vergessen und verdrängen wollen- funktioniert auf Dauer nicht."
Als wir an seiner Wohnung ankamen, war es schon später Nachmittag.
„Sage Kim, ich bin locker mit zwei Freunden verabredet heute Abend. Macht es dir, was aus, wenn sie rumkommen? Ich kann ihnen absagen, aber vielleicht ist es ja auch für dich ganz nett.", fragte Lukas, während wir unsere Schuhe auszogen.
„Gern." Ich war sowieso erledigt nach dem Tag und wollte nicht den Rest des Abends damit verbringen, das Thema weiter auszuwalzen. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken zu dem Thema, aufgewühlt durch unser Gespräch, wild durcheinander und ich wusste, dass Lukas mir nicht dabei würde helfen können, sie zu sortieren. „Macht's dir was aus, wenn ich duschen gehe?" Demonstrativ zupfte ich an meinem T-Shirt, dass leicht an meinem verschwitzten Rücken klebte.
„Fühle dich wie zuhause."
Ich schnappte mir meine Tasche, die immer noch im Flur stand, verschwand im Bad und duschte kalt. Das kühle Wasser beruhigte den Gedankenstrudel zumindest so weit, dass ich Lukas Recht geben konnte. Nur Zeit alleine hätte vielleicht nicht gereicht, um München hinter mir zu lassen. Die Erinnerung daran, wie ich mich seitdem immer wieder und immer noch auf dem Pferd fühlte, gab ihm Recht. Wie ich immer wieder das Gefühl hatte, jemand könnte bemerken, dass alles, was ich mal erreicht hatte, ein blöder Zufall war und sicher nicht mein Verdienst. Wie ich an mir zweifelte- ich hatte das vor München nicht gekannt und nicht einmal dort so intensiv erlebt. So lange, wie ich dort gewesen war, war ich trotzig genug gewesen, um es meinen Kollegen beweisen zu wollen. Jede Nullrunde, die ich gedreht hatte, jede Platzierung hatte mir ein bisschen Genugtuung verschafft. Seht her- ich kann das. Jetzt ritt ich gegen eine Wand von positiven Erwartungen, nachdem man mir jahrelang gesagt hatte, ich könnte ihnen niemals gerecht werden. Und es war nicht besser geworden- ganz im Gegenteil. Je mehr Zeit vergangen war, je weiter die Saison voranschritt, desto schlechter fühlte ich mich, desto weniger wollte ich. Als ich das Wasser abstellte, aus der Dusche stieg und im Spiegel in mein Gesicht sah, hielt ich inne. Das Wasser tropfte noch aus meinen Haaren und meine grünen Augen blickten mir fragend und ein bisschen misstrauisch entgegen. Ich starrte zurück und beobachtete, wie mein Blick zunehmend härter wurde, als gefiele mir nicht, was ich sah. War das so? Langsam rubbelte ich meine Haare trocken und eine müde und kritische Version von mir sah mir dabei zu. „Du bist so doof.", sagte ich leise zu meinem Spiegelbild, ehe ich in meine Tasche griff und den langen, blauen Rock mit den weißen Punkten anzog- den einzigen Rock, den ich überhaupt besaß und den ich nur eingepackt hatte, weil es so elendig heiß war. Als ich mir das weiße T-Shirt über den Kopf gezogen und meine noch feuchten Haare durchgekämmt hatte, riskierte ich noch einen Blick in den Spiegel. Zögerlich griffen meine Hände in meine Haare. Ich hatte sie immer gemocht und einen Heidenaufwand mit ihnen betrieben, so lang, dick und blond wie sie waren. Jetzt hatte ich keine Ahnung mehr, wann sie das letzte Mal eine Kur gesehen hatten und die Spitzen waren so splissig, dass man die Längen kaum noch kämmen konnte.
„Lukas?", rief ich, während ich noch immer mein Spiegelbild anstarrte, dass jetzt fast erschrocken aussah. „Ich brauche deine Hilfe!"
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Wird sie jetzt wahnsinnig? ;)
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...