Part 117

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Meine Großmutter zog erst meine Mutter in eine Umarmung, in der sie zwar einen Arm um ihre Schultern schob, sie aber gleichzeitig mit der anderen Hand an der Hüfte von sich wegschob. „Wie schön dich zu sehen, mein Schatz.", sagte sie und hauchte einen Kuss in die Luft, bevor sie sich meinem Vater zuwandte. „Julian.", sagte sie mit einem Lächeln auf den schmalen Lippen, während ihre hellen blauen Augen das bisschen Herzlichkeit verloren, was sie vorher ausgestrahlt hatten.

„Hallo Martha.", sagte mein Vater betont freundlich und drückte sich mit einem kurzen Händedruck an ihr vorbei. Das Verhältnis der beiden hatte sich in den letzten Jahren immer weiter abgekühlt- so eine distanzierte Begrüßung hatte ich noch nie zwischen den beiden erlebt.

Felix versuchte, sich genauso wie mein Vater an ihr vorbeizudrücken, aber sie zog ihn in eine Umarmung, bevor er sich dagegen wehren konnte. „Felix, du wirst deinem Vater wirklich immer ähnlicher."

Lukas grinste mir verstohlen zu und ich unterdrückte ein Lachen. Aus ihrem Mund war das nicht unbedingt ein Kompliment.

„Weiß nicht, was du meinst, Oma.", nuschelte Felix, befreite sich aus ihren Armen und huschte eilig meinem Vater hinterher.

Lukas ließ die obligatorische Umarmung tapferer über sich ergehen, während meine Oma beklagte, dass er ja immer noch nicht zugenommen habe. Als sie ihn losließ, atmete ich tief durch und wappnete mich.

„Kim." Sie strahlte mich an und musterte mich von oben bis unten. „Das sind aber auffällige Stiefel."

„Die sind grau.", erwiderte ich steif. Ich hatte ja gewusst, dass sie mir einen Kommentar einbringen würden.

„Immerhin dein Kleid ist schön.", sagte sie fast missbilligend und tat sich offensichtlich schwer damit, ihren Blick von meinen Beinen auf mein Gesicht zu lenken. „Und wen hast du da mitgebracht?" Sie nickte zu Paul herüber und ich seufzte leise.

„Das ist mein Freund. Oma, das ist Paul. Paul, das ist meine Oma Martha."

Paul trat neben mich und streckte mit einem wirklich einnehmenden Lächeln seine Hand aus. Meine Oma betrachtete ihn viel zu offensichtlich kritisch, während sie die Hand ergriff.

„Ja, von dir habe ich schon gehört.", sagte sie völlig undurchschaubar.

„Ich hoffe, nur Gutes.", antwortete Paul und schaffte es, weiterzulächeln.

„Noch so ein Reiter, oder?", fragte sie und kniff die Augen zusammen und ich hielt die Luft an. Bitte nicht das erste Drama an der Haustür.

„Ähm...ja, schon." Paul nickte und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.

„Paul ist übrigens richtig erfolgreich gewesen dieses Jahr.", sagte ich und atmete erleichtert auf, als das Schlüsselwort seine Wirkung entfaltete und ihre Gesichtszüge etwas freundlicher wurden.

„Na, dann ist das Weihnachtsessen ja verdient.", sagte sie und schenkte ihm doch noch ein Lächeln, bevor sie uns voraus den Flur entlang in die Küche ging.

„Da habe ich aber Glück gehabt, dass ich dieses Jahr nicht erfolglos durch Jungpferdeprüfungen gescheppert bin.", flüsterte Paul mir schmunzelnd zu, während wir die Schuhe im Flur abstriffen. „Müsste ich sonst trockenes Brot essen?"

„Du hättest dir sonst anhören müssen, dass Bereiter kein Beruf ist.", flüsterte ich zurück und verdrehte die Augen.


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Ich nahm Pauls Hand, als wir durch die große Schwingtür aus Milchglas in die Küche traten, die direkt in Ess- und Wohnzimmer überging. Der Küchenboden war dunkel gefliest, im Rest des Erdgeschosses lag helles, glattgeschliffenes Parkett. Im Esszimmer stand ein langer, massiver Esstisch aus Eichenholz, der bereits fürs Essen gedeckt war. Mein Großvater stand an der Kücheninsel und bewachte die Töpfe, Felix neben ihm und checkte ab, was auf den Tisch kommen würde. Meine Großmutter machte sich derweil im Wohnzimmer auf die Suche nach Servietten.

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