Part 11

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Erleichtert kam ich am nächsten Tag nach meinem Ritt aus dem Parcours getrabt und war froh, es hinter mir zu haben.
Immerhin kein Springfehler, kein Steher und nur ein vergurkter Anritt, bei dem Milano mich gerettet hatte. Ich bekam noch eine 7,1 und freute mich unauffällig. Mir war bewusst, dass die Runde nicht besonders gut gewesen war, aber nach den Erfahrungen der letzten Wochen war ich beinahe zufrieden.
Simon warf Milano schmunzelnd eine Abschwitzdecke über. „Das mit der Orientierung wird auch noch wieder."
Wurde es aber nicht.
Letztlich passierte zwei Tage später das, was ich vielleicht zuletzt geahnt hatte.
Ich ritt vom Springplatz Richtung Stall, genoss die Frühlingssonne und schaute auf mein Handy. Ich wollte Lukas anrufen, ihn fragen, wann wir uns treffen wollten- immerhin hatte er angekündigt, in den nächsten Wochen mal wieder bei uns vorbeizuschauen. Seit ich selbst zurück war, vermisste ich ihn. Mir war irgendwie bewusst geworden, dass er sein eigenes Leben lebte, das manchmal erschreckend wenig mit meinem zu tun hatte.
„Mama?", rief ich, als ich meine Mutter zu ihrem Auto gehen sah, in der Hoffnung, dass sie mir womöglich sagen könnte, wann Lukas kommen wollte. Sie drehte sich gerade zu mir um, als ich das laute Krachen im Stall hörte.

„Kim?"
„Au..." Das war das Einzige, was ich denken und spüren konnte.
„Nicht bewegen, alles gut."
„Nein..." Ich blinzelte und schloss augenblicklich wieder die Augen. Alles drehte sich und mir wurde von einer Sekunde zur anderen so schlecht, dass ich mich zur Seite drehen wollte.
„Nicht bewegen."
„Ma?"
„Alles gut."
„Was ist passiert?", hörte ich irgendjemanden rufen. Die sich nähernden Schritte waren viel zu laut, jedes Geräusch, das langsam in mein Bewusstsein drang, war zu laut.
„Sie ist auf den Kopf gefallen." Ich hörte das Zittern in der Stimme meiner Mutter und begann zu ahnen, was das alles bedeutete.
„Scheiße."
„Kim?"
„Nein...", murmelte ich nur, weil ich nicht sprechen wollte, weil ich einfach wollte, dass alle ruhig waren.


„Hey." Ich spürte Finger an meiner Wange und öffnete langsam die Augen. „Da bist du ja wieder.", flüsterte meine Mutter und lächelte. Sie saß neben mir auf einem Bett, das Zimmer, in dem ich lag, war angenehm dunkel, die Vorhänge beinahe komplett zugezogen. Eindeutig ein Krankenhauszimmer. „Was machst du nur?"
„Sag's mir.", murmelte ich und bewegte mich vorsichtig. Alles tat weh und ich beließ es beim Versuch.
„Du bist mit Donni gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Das du nur eine schwere Gehirnerschütterung hast, ist eine Menge Glück."
Ich wollte nicken, ließ es aber lieber bleiben. „Wie geht es Donni?", fragte ich stattdessen.
„Keine Ahnung. Nika hat sie eingefangen. Wenn du magst, kann ich sie gleich anrufen."
„Bitte." Ich schloss meine Augen wieder, weil mir schlecht wurde. „Muss ich hierbleiben?"
„Bis morgen, ja, aber du kannst den Arzt auch gleich selbst fragen, der wird sicher noch ein paar Tests machen wollen."
Schweigend drehte ich mich auf die Seite und lehnte mein Gesicht gegen ihren Oberschenkel, bis die Welt sich etwas langsamer drehte. „War ich bis gerade bewusstlos?"
„Nein, zum Glück nicht. Du warst nach dem Unfall einige Minuten weg und dann nochmal, als der Krankenwagen kam." Sie streichelte wieder meine Wange und ich ließ es einfach geschehen.
„Ma?"
„Hm?"
„Es läuft irgendwie nicht so gut im Moment."
„Solche Phasen gibt es, Kim, aber das ist jetzt nicht wichtig."
Für mich war es das. Für mich fühlte dieser Unfall sich wie eine logische Konsequenz aus den Wochen davor an.

Verschlafen hob ich den Kopf als es an der Tür klopfte und richtete mich vorsichtig auf.
Ich hatte den Großteil des Vormittags dösend im Bett verbracht und hatte darauf gewartet, dass meine Mutter mich abholen würde. Noch immer fühlte ich mich ziemlich lädiert, aber mir wurde nicht mehr bei jeder Bewegung, jedem Aufrichten oder jedem lauten Geräusch übel.
„Moin." Schmunzelnd öffnete Paul die Tür und ich lächelte.
„Du?" Ich freute mich ehrlich darüber, dass er da war. „Du hättest mich nicht mehr besuchen müssen, ich kann heute noch nach Hause."
„Ich hole dich ja auch ab.", erwiderte er und kam langsam näher, wobei er zumindest vorsichtige Besorgnis nicht verbergen konnte. „Alles gut mit dir?"
„Schon, ja. Ich habe eine dicke Beule am Kopf, kann nicht besonders viel herumlaufen, kann nicht fernsehen und langweile mich deswegen ein bisschen."
„Die Knochen sind wirklich alle da, wo sie hingehören?"
„Ich denke." Langsam stand ich auf, wobei ich kurz mein Gesicht verzog.
„Sicher?"
„Blaue Flecken darf ich haben, ja?"
Seufzend nahm er meine Tasche und wir gingen- oder schlichen eher, zum Auto.
„Wie lange bist du eigentlich krankgeschrieben?"
„Zehn Tage erstmal." Insgeheim hatte ich gehofft, mindestens zwei Wochen auszufallen. Ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber ich wäre nicht traurig gewesen, eine ganze Weile nicht aufs Pferd zu müssen, eine ganze Weile nicht trainieren zu müssen. Vor dem Unfall hatte ich gespürt, dass diese blöde Pechsträhne mich unsicher gemacht hatte und besser war es jetzt sicherlich nicht geworden.
„Warum hat meine Mutter eigentlich dich hierher geschickt?", wollte ich wissen, als Paul losfuhr.
„Ich wollte dich abholen.", sagte er, schaute dabei aber so starr an mir vorbei, dass ich ihm nicht glaubte.
„Ich verkrafte das schon, wenn sie arbeiten musste und mich deswegen nicht abgeholt hat."
Tief luftholend schüttelte Paul den Kopf. „Ne, sie hätte dich wirklich gerne gefahren."
„Aber?"
„Eigentlich sollte ich dir das nicht erzählen." Ihm war anzusehen, dass er sich nicht wohl fühlte, dass er zwischen den Stühlen stand und am liebsten einfach still gewesen wäre.
„Jetzt sage es halt." Verärgert schaute ich zu ihm herüber.
„Der Tierarzt ist heute da und sie wollte eben dabei sein."
„Der Tierarzt kommt immer dienstags."
„Ja, aber er musste sich Donni anschauen."
„Gestern sah doch alles gut aus. Nika meinte..."
„Nika hat sie sich nicht in der Bewegung angeschaut."
Wütend biss ich die Zähne zusammen und spürte noch im gleichen Moment, wie mein Kopfschmerz sich zurückmeldete. „Was ist los?"
„Sie lief nicht ganz klar und heute früh lief sie nicht besser. Vielleicht ist gar nichts, aber deine Mutter wollte dich nicht stressen, bevor jemand draufgeschaut hat. Wahrscheinlich ist nichts und sie hat sich bloß vertreten."
„Lief sie nicht ganz klar oder war sie vielleicht eher stocklahm?", fragte ich leise und sah Paul eindringlich an, der nach wie vor Blickkontakt mied.
„Sie läuft nicht auf drei Beinen, wenn du das meinst, aber sie belastet das Bein nicht normal."


Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich im Haus auf sie wartete und ich hatte sie selten so resolut erlebt.
Unruhig hatte ich mich aufs Sofa gesetzt und drehte die Teetasse in meiner Hand hin und her.
Als sie dann schließlich in die Wohnung kam, lächelte sie flüchtig. „Immerhin sitzt du- ich hatte befürchtet, du tigerst hier ununterbrochen auf und ab."
„Und?"
„Das wollte ich mit dir besprechen. Wir können zwei Tage abwarten und hoffen, dass sie sich tatsächlich vertreten hat. Alternativ würden wir das Bein direkt näher untersuchen lassen."
Mich beschlich der leise Verdacht, dass sie mir nach wie vor etwas verheimlichte. Meine Mutter war normalerweise eher rational. Wenn ein Pferd wie Donni am Tag zuvor gestürzt war und danach nur leicht lahmte, dann wartete sie normalerweise noch ein, zwei Tage ab, bevor sie weitere Untersuchungen veranlasste.
„Wenn du das schon vorschlägst, dann sollte das wohl abgeklärt werden.", meinte ich deswegen und suchte in ihrem Gesicht nach einer Antwort.
„Ich denke, dass das besser wäre.", sagte sie dann vorsichtig. „Sie lahmt nicht wirklich stark, aber sie ist eben doch ganz schön gerutscht..."
„Dann bin ich aber dabei, ich möchte..."
„Wir würden das in der Klinik machen lassen, Kim."
„Was?" Spätestens da wusste ich, dass sie mir nicht alles erzählte. „Mama, was ist passiert?"
„Ich will es einfach möglichst sicher abgeklärt wissen. Es sieht jetzt alles nicht dramatisch aus, aber ich habe gesehen, wie sie gestürzt ist- und ich möchte gerade bei ihr verhindern, dass sie mit kaputter Sehne herumsteht."
„Kaputte Sehne?"
„Wahrscheinlich ist nichts, aber es sollte schon genau angeschaut werden."

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