Part 172

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„Ich sehe, warum du es heute nicht nach Renesse geschafft hättest.", sagte ich und meine Stimme klang viel zu buttrig in meinen Ohren. „Morgen wäre bestimmt auch schwierig gewesen, so viel wie ihr hier zu tun habt und...

„Kim, warte." Paul hob die Hände und sah für einen Augenblick so aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Das ist...Das ist...ich wäre morgen gekommen."

„Und hättest mir dabei von der Wohnung erzählt?" Ich schluckte und spürte das Brennen der Tränen in meinen Augen. „Lukas hat mir davon erzählt. War toll, als er mich gefragt hat, ob wir beide zusammen einziehen."

Paul schüttelte langsam den Kopf und fuhr sich- wie sein Bruder zuvor- hilflos mit der Hand durch die Haare. „Das tut mir Leid, Kim. Das tut mit ehrlich Leid."

Hektisch kaute ich auf meiner Unterlippe herum und atmete mit aller Gewalt in meinen Bauch, um meinen Atem ruhig zu halten. Es tat ihm Leid- prima. Nervös sah Paul mich an, während er sein T-Shirt vom Boden aufsammelte und es sich eilig über den Kopf zog. „Wieso ziehst du aus?", brachte ich mit gepresster Stimme hervor.

„Das lässt sich nicht mit einem Satz beantworten.", erwiderte Paul leise und ließ seine Schultern hängen.

„Ich höre dir auch länger zu.", brachte ich zwischen meinen zitternden Lippen hervor. Der Druck in meiner Kehle war fast unerträglich, während ich mich weiterhin weigerte, zu weinen. Ich würde ihm ewig zuhören, wenn am Ende der Geschichte stand, dass alles sich auflöste und wir noch wir waren. Allerdings- wir standen immer noch drei Meter voneinander entfernt und so sehr ich ihn umarmen wollte, so wenig wollte ich diesen Sicherheitsabstand aufgeben.

„Willst du...." Er sah sich nach seiner Wasserflasche um. „Willst du was trinken? Wir können rausgehen."

„Ich will nichts trinken.", flüsterte ich und die Muskulatur in meiner Kehle ließ auch nicht mehr zu, dass ich vernünftig sprach. Umso dringender wollte ich aber aus diesem Schlafzimmer, aus dieser Wohnung raus. Ich machte nur eine ruckartige Kopfbewegung und Paul verstand, drückte sich ohne mich zu berühren an mir vorbei durch den Türrahmen, ging mir voran durch die Wohnküche zur Fensterfront, schob eine Schiebetür auf und trat auf die Terrasse. Die sommerliche Wärme und der intensive Duft der Azaleen passten nicht zu meiner Stimmung. Paul ließ sich auf den warmen Steinen nieder und klopfte mit einem entmutigten Gesichtsausdruck neben sich. Ich folgte der Aufforderung und setzte mich viel zu dicht neben ihn. Ich konnte fast spüren, wie seine Schulter meine berührte und sah, dass nicht nur seine Hose, sondern auch seine Schienbeine Farbe abbekommen hatten. Es war so ungewohnt, ihn nicht einfach anzufassen. „Warum ziehst du aus. Ich höre.", sagte ich, immer noch im Flüsterton und widerstand der Versuchung meinen Blick auf meine Fußspitzen zu richten. Stattdessen sah ich ihn an, sah ich ihm dabei zu, wie er sich darauf vorbereitete, mir zu erklären, weshalb er jetzt plötzlich aus unseren Plänen ausstieg. Er nickte und jetzt, aus der Nähe, sah ich, wie sein Unterkiefer zitterte. Er rieb sich fest mit den Fingern über die Stirn, bevor er die Augen schloss und ebenso leise flüsterte wie ich zuvor: „Weil ich Scheiße gebaut habe, Kim."



Ich verstand sofort und der kurze, winzige Moment, in dem die Wahrheit mich traf, holte meine Selbstkontrolle von den Füßen. Ich schluchzte schon, kaum dass er meinen Namen ausgesprochen hatte und ich verbarg augenblicklich mein Gesicht in meinen Händen, um ihm nicht zeigen zu müssen, was das mit mir machte. Am liebsten wäre ich einfach gefasst aufgestanden und losmarschiert, aber ich konnte nicht mal einatmen. Es war physisch nicht möglich ohne loszuschreien Luft zu holen. Also kauerte ich mich zusammen und versuchte bei angehaltenem Atem nicht durchzudrehen. Ich hatte Recht gehabt. Ich hatte Recht gehabt und er hatte mich für verrückt erklärt, er hatte so getan, als habe ich ihn tödlich beleidigt, während ich eigentlich ins Schwarze getroffen hatte. Er hatte mich darüber Nachdenken lassen, was ich für eine Freundin sein wollte und davor- oder währenddessen- eine ganz eigene Entscheidung darüber getroffen, wer er sein wollte. Das musste ein schlechter Scherz sein. Als ich das erste Mal Luft holen musste und mir dabei ein gequältes Wimmern entwich, spürte ich seine Hand an meiner Schulter. Das war zu viel. Laut schluchzend schlug ich mit aller Kraft die ich aufbringen konnte nach seiner Hand und er zuckte erschrocken zurück. Von da an saß er stumm und regungslos neben mir, während ich minutenlang haltlos weinte. Irgendwann hörte ich, wie ein Auto auf die Auffahrt fuhr, hörte kurz Schritte in der Wohnung und dann, wie jemand die Terassentür zuzog. Sam wollte mir offensichtlich wenigstens Privatsphäre zugestehen, während ich noch immer versuchte, nicht durchzudrehen.

„Wann?", schluchzte ich irgendwann.

„In Balve." Paul klang, als würde er mit jedem Wort Rasierklingen schlucken. „Ich..."

„Wann?", wiederholte ich.

„Am Samstagabend. Aber nicht so, wie du denkst."

Ich lachte bitter, während mir immer noch die Tränen über die Wangen liefen. „Der Klassiker, oder?"

„Ich habe nicht mit ihr geschlafen.", sagte er leise und ich konnte nicht anders als meinen Kopf zu heben und ihn fassungslos anzustarren.

„Hast du einen Knall?", setzte ich feindselig an, weil ich nicht hören wollte, was genau seiner Meinung nach besser sein sollte, als mit einer anderen Frau zu schlafen.

„Nein, Kim...." Er fluchte laut und schüttelte heftig den Kopf. „Es war spät. Wir haben rumgeknutscht und..."

Unwillkürlich heulte ich auf vor Wut und ich verbarg mein Gesicht wieder an meinen Knien. Ich hatte Bilder im Kopf und das war ungeahnt schmerzhaft. „Es war spät!?" Meine Stimme überschlug sich fast.

„Ich war angetrunken. Ich war alleine. Wir hatten Streit. Du hast mich verletzt und dann..."

„Hast du es mir heimgezahlt oder was?", schluchzte ich unkontrolliert.

„Ich weiß es nicht. Kim, ich...." Er brach ab und ich hörte ihn weinen. Wie ich hatte er die Knie an den Körper gezogen und schluchzte gegen seine Knie. „Ich habe das nicht gewollt. Ich habe..." Sein ganzer Körper bebte so heftig wie meiner und als ich zu ihm herübersah, spürte ich den albernen Impuls, ihm über den Rücken zu streichen. Als ob das passieren würde.

„Mein Vater hat es gesehen, oder?", sprach ich die Vermutung aus, die sich mir sofort aufgedrängt hatte, nachdem er gesagt hatte, dass es in Balve gewesen sei.

Paul nickte und krallte die heftig zitternden Finger seiner rechten Hand in seinen Nacken. Er musste nicht weitersprechen. Natürlich musste er ausziehen.

„Zu wann hat er dir gekündigt?", fragte ich und bemühte mich um einen gefassten Tonfall.

„Hat er nicht.", brachte Paul atemlos hervor, den Kopf noch immer auf den Knien. „Aber ich habe in seinem Haus nichts mehr zu suchen. Er hat mich vor die Wahl gestellt: entweder ich sage es dir oder er sagt es dir. Ich wollte dir das selber sagen, ich..." Seine Finger krallten sich noch fester in seinen Nacken, bevor er weitersprach. „ Ich habe gedacht, wenn ich es dir selber sage, dann...vielleicht kriegen wir das wieder hin. Aber ich habe es einfach nicht geschafft, ich konnte das einfach nicht. Ich habe dir Vorwürfe gemacht und dann..." Er schluchzte und schüttelte heftig den Kopf. Er hatte mir Vorwürfe gemacht und dann genau das getan, wovor ich Angst gehabt hatte und danach hatte er mich in dem Glauben in der Luft hängen lassen, ich sei diejenige, die einen Fehler gemacht hatte. Als ich das aussprach, hob er den Blick und sah mich mit roten, geschwollenen Augen an. „Es tut mir so leid.", sagte er so leise, dass ich es kaum hören konnte. 

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Eigentlich ist dieses Teilchen noch nicht fertig, aber bevor ihr euch am Ende bis zum Wochenende fragt, was denn nun mit den beiden los ist.... ;)



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