Irgendwie bekam ich das Wochenende um. Ich verursachte keine Begeisterungsstürme, aber immerhin ritt ich solide mit. Am Samstag platzierte ich mich sogar, aber trotzdem kam keine rechte Freude auf. Die einzige Situation, in der ich an diesem Wochenende von Herzen lachte, war als ich Paul beim Abreiten für das Hauptspringen am Sonntag beobachtete. Für ihn und Fia war das immer noch ein ziemlich dickes Ding und er bekam in den Minuten vor seinem Start einen ziemlich starren Gesichtsausdruck. Ich konnte Barbie Girl beinahe hören. Auf der Rückfahrt diskutieren Paul und meine Mutter ewig darüber, woran es gelegen hatte, dass Fia im Stechen die Kraft ausgegangen war und wie man das in Zukunft verhindern könnte, während ich gedankenverloren mit meinem Handy spielte. Mir gingen zwei Dinge nicht aus dem Kopf. Zum einen war das Pauls Aussage, dass ich zu traurig und nicht wütend genug sei. Zum anderen war da die Frage, was ich eigentlich gemeint hatte, als ich zu Jenny gesagt hatte, sie könne sich glücklich schätzen, dass sie einfach aufhören konnte. Wie hatte es so weit kommen können, dass ich, die, die ihre Eltern morgens um fünf aus dem Bett geschmissen hatte, weil sie unbedingt hatte Turnier reiten wollen, plötzlich auf der Tribüne saß, Kuchen aß und das Gefühl hatte, die Turnieratmosphäre fräße mich bösartig von innen auf? Ich war mit Lina Europameisterin geworden und dabei das glücklichste Mädchen der Welt gewesen. Ich war mit Donni deutsche Meisterin geworden und hatte das goldene Reitabzeichen bekommen. Das alles hatte sich wie eine Selbstverständlichkeit angefühlt. Meine blöde Abschlussprüfung hatte ich mit Auszeichnung bestanden. Ich verstand nicht, was schief lief oder wann auf dem Weg etwas schief gelaufen sein sollte. Von Anfang an war ich Super-Kim gewesen und aus irgendeinem Grund war mir das nicht mehr vergönnt. Super-Kim. Ich richtete mich auf, als sich etwas in mir regte. Bei Lukas hatte ich mich gefragt, ob ich nicht vielleicht mehr war als das. Zögerlich tippte ich eine Nachricht.
„Lukas...können wir mal sprechen? Melde dich bitte."
Den zweiten Satz fügte ich an, weil er sich seit dem Mittagessen mit meiner Mutter kaum gemeldet hatte. Entgegen seines Versprechens hatte er nicht angerufen und auch, als ich geschrieben hatte, dass das mit Paul und mir fix und offiziell und überraschend leicht war, hatte er nur einen lächelnden Smiley geschickt- und das mit zwei Tagen Verspätung. Ich sah, wie die Nachricht ankam, wie er sie einige Minuten später las und doch nicht antwortete. Was war los mit ihm? Hatte Berlin ihm die Sprache verschlagen? Oder besser- und wahrscheinlich zutreffender- hatte Inga ihm die Sprache verschlagen? War er im Abgabestress mit seiner Abschlussarbeit? Frustriert schob ich mein Handy in die Tasche meines Hoodies und starrte wortlos auf die Straße, bis wir zuhause ankamen.
Paul und ich dämmerten schon erschöpft und im Halbschlaf vor uns hin, als mein Handy zu vibrieren begann.
„Ist's wichtig?", nuschelte Paul in meinen Nacken, aber ich war schon mit einem Bein aus dem Bett und griff nach meinem Schlüssel, der neben dem Bett lag.
„Ich schlafe drüben, das kann ein bisschen dauern."
Er seufzte zustimmend und drehte sich auf die andere Seite, während ich abnahm.
„Moment, Lukas."
„Ich warte geduldig.", hörte ich seine Stimme an meinem Ohr.
Erst, als ich in meiner zugestellten Wohnung unter meine Bettdecke kroch, sprach ich wieder. „Sorry du, ich musste mal eben zu mir rüber."
„Warst du bei Paul?" Er lachte rau, aber es klang traurig und mitgenommen. Ganz anders als üblich.
„Ja, schon..." Misstrauisch spitzte ich die Ohren und versuchte herauszuhören, ob er vielleicht nur müde war.
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Auftauchen
Подростковая литератураIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...