Part 129

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Am nächsten Morgen schlug ich in dem gemütlichen Schlafzimmer die Augen auf, weil draußen die Welt beinahe unterging. Es stürmte, der Wind heulte und pfiff um die Ecken, während schwere Regentropfen fest und laut auf das Dachfenster klatschten. Paul lag neben mir, hellwach, und hatte sein Handy in der Hand, aber er legte es zur Seite, als er sah, dass ich aufgewacht war.

„Ich glaube mein im-Bett-bleibe-Wunsch wird erhört.", sagte er und nickte zum Fenster über unseren Köpfen. „Ich strecke ganz sicher nicht einmal meine Zehen aus der Haustür."

„Langweiler.", murmelte ich träge und drückte ihm einen Kuss aufs Schulterblatt, ehe ich mir die Decke bis ans Kinn zog und meine Augen wieder schloss. „Wie spät haben wir eigentlich?", nuschelte ich in den weichen Stoff.

„Gleich halb zwölf, Blondie."

Halb zwölf? Widerwillig blinzelte ich ihn doch an. „So spät?"

„Es war auch halb fünf, als ich das letzte Mal auf die Uhr geguckt habe.", sagte er, ein angedeutetes Grinsen auf dem Gesicht. Ich streckte mich wohlig bei der Erinnerung. Stimmt- irgendwann um halb fünf waren wir dann auch mal zum Schlafen gekommen. Nach einem sehr perfekten Jahreswechsel. Wir hatten doch noch die Sektflasche aufgemacht und nach zwei Gläsern, war meine Zunge locker genug gewesen, um einen Teil meiner Zukunftsträumerei herauszubringen. Und eine angetrunkene, und sehr glückliche Version von Paul hatte danach mit mir geträumt. Wir hatten beide tausendmal betont, dass es Spinnereien waren, alles viel zu früh und natürlich alles nur Spaß- aber wir hatten trotzdem in Zukunftsvisionen geschwelgt. Wir hatten stundenlang darüber philosophiert, wie es wohl wäre, wirklich zusammenzuziehen und hatten vage und optimistisch überschlagen, was wir wohl ausgeben könnten. Paul hatte- da war die Sektflasche aber auch schon leer gewesen- laut darüber nachgedacht, dass er unbedingt mal eine richtige Familie haben wollte und ich hatte womöglich- so genau wollte ich mich auch gar nicht mehr erinnern- zugestimmt. Wir wussten, dass das Spinnereien waren- aber es war das erste Mal, dass wir die ein oder andere grundlegende Frage auf den Tisch gebracht hatten, die das Thema berührte, wie wir uns unser Leben so vorstellten und es war einfach nur aufregend und schön gewesen, Luftschlösser zu bauen. Ich hatte lang ausgestreckt auf ihm gelegen und dabei zum ersten Mal berauschende Gefühl gehabt, mein ganzes Leben läge vor mir und tausend Chancen warteten nur so darauf, von mir ergriffen zu werden.

„Vielleicht ist das mit dem Tag im Bett gar nicht so verkehrt.", sagte ich, als eine besonders kräftige Böe den Regen noch fester gegen das Fenster drückte und ich rutschte noch tiefer unter die Decke. Einen ganzen Tag mit Paul unter einer Decke, während das Wetter so mies war, dass man draußen garantiert nichts verpasste- das würde ich wenn wir erst wieder zurück wären nicht so schnell wieder bekommen.

„Du wirst ja doch noch vernünftig." Damit schwang Paul seine Beine aus dem Bett, klaubte seinen Pulli vom Boden auf, zog ihn sich über den Kopf und erwiderte auf meinen beunruhigten Blick, dass er Kaffee machen wollte.

„Bringst du den dann auch hoch?" Ich gähnte und streckte mich demonstrativ und nahm dabei billigend in Kauf, dass meine Haare wild in alle Richtungen abstanden. „Oder muss sich deine Freundin aus dem Bett quälen, nachdem du sie doch gerade für ihre Vernunft gelobt hast?"

Er schnaubte verächtlich- was mir als Antwort völlig genügte- zog sich dicke, hohe Wollsocken an und ging in Boxershorts und Pulli Kaffee kochen. So viel zum Thema Eitelkeit. Zufrieden rollte ich mich quer übers Bett, bis mein Kopf auf Pauls Kissen lag. Ich sollte Pia schreiben- jetzt im Nachhinein war mir klar, was sie mit der Frage, ob Paul „es endlich geschafft habe" gemeint hatte. Vermutlich hatte er sich sein Liebesgeständnis seit Ewigkeiten für diesen Urlaub aufgespart- er war, wie Pia gesagt hatte, eben wirklich ein hoffnungsloser Romantiker, was wohl die wenigsten sonst ihm zutrauten. Ich streckte meine Hand nach meinem Handy aus, bekam es zu fassen und zog es zu mir heran- nur, dass es nicht das meine war. Paul, der sein Handy in der Hand gehabt hatte, als ich aufgewacht hatte, hatte es am Kopfende liegen lassen. Ich hielt es jedenfalls in der Hand, und war schon wieder im Begriff, es hinzulegen, als mir dieses Herz in den Sinn kam. Ich wusste, dass da nichts war- so gut wie sicher jedenfalls. Hätte dieser kleine Stachel sich nur nach dem gemeinsamen Träumen nicht doch noch gefährlicher angefühlt, nicht so, als könnte er etwas bedrohen, dass mir über Nacht noch unendlich viel wichtiger geworden wäre- ich hätte sein Handy weggelegt. Aber ich konnte es nicht. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren, so angestrengt lauschte ich den Geräuschen aus der Küche, die mir versicherten, dass er Kaffee kochte, bevor ich sein Handy entsperrte. Während ich WhatsApp öffnete und durch seine Chats nach unten zu Jenny scrollte, versuchte ich mir einzureden, dass das was ich da machte, irgendwie okay sei. Schließlich kannte ich seinen Code, weil er ihn mir verraten hatte und nicht, weil ich immer neugierig auf seine Finger starrte, wenn er sein Handy entsperrte. War das nicht wie unangekündigt eine Wohnung zu betreten, zu der man den Schlüssel hatte? Irgendwie nicht toll, aber auch kein echtes Problem. Als ich den Chat gefunden hatte, zögerte ich für einen Sekundenbruchteil, aber dann tippte ich ihn doch an. Das Herz, das Jenny ihm geschickt hatte, war nach wie vor ganz unten. Davor- und ich konnte die Erleichterung darüber bis in meine Fußspitzen spüren- hatte er mit dem Zusatz „viel schöner als der Papa- wie hat Samuel das nur gemacht?" ein Bild von Amelia geschickt. Harmlos- so harmlos. Darüber hatte ich mir tagelang den Kopf zerbrochen. Nicht einmal Weihnachts- oder Silvestergrüße hatten die beiden sich geschickt. Ich atmete durch und wollte gerade sein Handy zurücklegen, als ich hörte, wie unten in der Küche die Mikrowelle angeschaltet wurde. Er war also noch beschäftigt und ich- ich konnte nicht erklären, weshalb ich es tat, scrollte nach oben. Ich war neugierig und ich wollte wissen, was zwischen den beiden gewesen war. Nicht gefiltert durchs Paul Erzählung, in der ja quasi nichts gewesen war und nicht gefärbt durch Pias Beruhigungsversuche. Ich scrollte hoch bis zum Sommer, las flüchtig, wie die beiden sich ab und an darüber austauschten, welche Turniere genannt waren und was die Pferde so machten. Ab und an kotzte Jenny sich über ihre Eltern aus, ab und an schickte Paul mal Bilder vom Training- geschenkt, alles unverfänglich, alles unproblematisch. Bevor ich in den August hineinscrollte, sperrte ich nochmal die Ohren auf, ob ich Paul auch noch immer in der Küche hörte. Es war, als wüsste ich ganz genau, dass ich da in ein Gebiet abtauchte, dass mich nichts anging- und aus dem Paul mich bewusst raushielt. Und tatsächlich stieß ich ziemlich schnell auf eine Nachricht, in der Paul Jenny schrieb, dass von jetzt an- und dieses Mal wirklich endgültig- nichts mehr zwischen ihnen laufen würde, weil- und an dieser Stelle hüpfte mein Herz völlig unangemessen los- das mit ihm und mir vielleicht doch eine Zukunft hätte. Sie- und das ließ meine Freude schlagartig abflachen, hatte daraufhin ein Bild geschickt, auf dem die beiden im Halbdunkel, offensichtlich verkatert, müde und mindestens halbnackt in irgendeinem Hotelzimmer schief in die Kamera grinsten, kommentiert mit „Freut mich für dich- aber vermissen werde ich das schon. Bittersweet, hm?"

Ich starrte auf dieses Bild, auf eine Jenny, deren Haare mindestens so zerzaust aussahen wie meine gerade und konnte nicht anders- ich fühlte mich scheiße. Schwer schluckend betrachtete ich das Foto, guckte auf seine Hand an ihrer Schulter und versuchte krampfhaft mir nicht vorzustellen, was sie in dem Moment wohl gespürt hatte. Schmerzhafter war nur die Frage, was er in dem Moment gedacht haben mochte- er sah so zufrieden, so glücklich aus. Ich schloss das Bild, war versucht nochmal hochzuscrollen, ließ es dann aber. Es reichte- meine Füße hatten jedenfalls sehr plötzlich wieder Bodenhaftung als ich unsanft von meiner Wolke plumpste. Ich hätte es einfach lassen sollen.

„Bist du fertig?"

Ich erstarrte, als ich Pauls Stimme von der Tür aus hörte und ließ sein Handy los, als hätte ich mich daran verbrannt. „Was?" Hastig drehte ich mich um und sah ihn im Türrahmen stehen, zwei Kaffeebecher in der Hand und mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der mir zweifelsfrei klar machte, dass ich nicht nur einen Schritt zu weit gegangen war.  



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Ach Kim....

und ihr so? ;)

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