Den nächsten Tag über herrschte Funkstille. Ich wollte es eigentlich nicht, aber ich guckte mir trotzdem mit dem Laptop aus dem Bett heraus die Prüfungen an, die übertragen wurden. Ich aß dabei Stroopwafels und kraulte unablässig Pip, der mich und meine qualmende Wut beaufsichtigte. Paul glänzte in einer weiteren Prüfung mit Lolo, in einer zweiten blieb er im Normalparcours mit Rasputin fehlerfrei, verzichtete dann aber aufs Stechen. Kurz zuckte meine Hand zum Handy, weil ich ihm schreiben wollte, was los sei. Dann fiel mir der Vortag ein und statt zum Telefon griff ich nach der nächsten Karamellwaffel. Mariekes Nachrichten ignorierte ich: ich wollte weder zum Sport, noch wollte ich ihr beantworten, was mein Gespräch mit Paul ergeben hatte. Eigentlich wollte ich nur eins: nach Mannheim fahren und auf dem Weg Pia anrufen. Beides war keine Option. Zum einen hatte ich kein Auto und musste am nächsten Tag arbeiten. Zum anderen würde Pia vermutlich wutentbrannt auflegen. Ich war also zum Nichtstun verdammt. Selbst Lukas mochte ich nicht anklingeln und das lag nicht daran, dass ich bei dem Gedanken an Jenny in Pauls Nähe fast durchdrehte, sondern auch daran, was ich in meiner blinden Wut am Tag zuvor zu Paul gesagt hatte. So sicher Lukas auch auf meiner Seite stand, dafür würde auch er mir den Kopf waschen. Abgesehen davon war ich mir nicht sicher, ob mir das nicht zu peinlich war.
Nachts wich die Wut dann etwas anderem und ich schlich mit verweinten Augen und laufender Nase zu meinem Schrank und grub Pauls Pullover, den ich am Vorabend wütend zu hinter meine frisch gewaschenen Reithosen gesteckt hatte, wieder aus. Mir dämmerte, dass ich unser Versprechen, einander zu vertrauen statt eifersüchtig auszurasten, gebrochen hatte. Mir dämmerte auch- und das war ungleich schmerzhafter- wie verletzend meine Anspielung auf seine Verflossenen gewesen war und wie wütend er darüber sein musste, dass das Thema nicht zum ersten oder zweiten Mal von mir hervorgezerrt wurde. Gleichzeitig, bei aller Reue, die ich tatsächlich empfand, rauchte ich tief in meinem innersten Kern noch immer vor Wut darüber, dass er mir verheimlicht hatte, dass Jenny da war, während mir eine Angst, die mich in ihrer Heftigkeit fast in den Wahnsinn trieb, unbeirrt ins Ohr flüsterte, dass meine Eifersucht bestimmt ihre Berechtigung hatte. Und das- selbst wenn meine Angst bei dem Anruf noch fehl am Platze gewesen war, Paul sich spätestens jetzt an mir gerächt hätte. Die ganze Nacht und den ganzen folgenden Tag ließen mich diese Gedanken nicht los und die Zeitfenster zwischen meinen Kontrollblicken auf mein Handydisplay wurden immer kürzer. Trotzdem brauchte ich noch bis Mitternacht, bis ich mich dazu durchrang, ihm eine Nachricht zu schreiben. Auch, wenn ich mich dabei wie genau der einknickende Verlierer eines Konflikts fühlte, der ich wohl wirklich war.
„Reden?" Zu mehr hatte ich mich nicht durchringen können und auch, wenn ich mit dem Gefühl, kiloschwere Steine im Bauch zu haben im Bett lag und an die Wand starrte, rechnete ich nicht mit einer prompten Antwort. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann wusste ich überhaupt nicht, was ich zu erwarten hatte. Ob er sich zurückmelden würde. Wann er sich zurückmelden würde. Was er mir dann zu sagen hatte. Ob an meinen Befürchtungen etwas dran war. Und- und die Erkenntnis erschreckte mich bis ins Mark: ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn etwas passiert war.
„Abgekühlt!?" Die Nachricht ploppte keine zehn Minuten auf, nachdem ich meine abgeschickt hatte.
„Ich würde das gern klären.", antwortete ich augenblicklich und setzte mich aufrecht hin. Als ob ich dann besser denken oder schreiben könnte.
„Rufe doch Jenny an."
„Ich will aber mit dir reden." Und mich entschuldigen. Sofern meine Eifersucht unbegründet gewesen war.
„...Kim." Er schrieb, er löschte, was er geschrieben hatte und er schrieb neu. Ewig und immer wieder von vorne, bis er drei schlichte Sätze schrieb. „Ich kann das gerade nicht. Lass uns die Tage telefonieren. Ich rufe dich an."
Lass uns die Tage telefonieren. Wie vor den Kopf gestoßen saß ich aufrecht im Bett und spürte, wie der Schreck sich tiefer und tiefer in meine Glieder fraß.
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Kim kühlt schneller ab als der Originalvulkan.
Und Paulchen?
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Auftauchen
أدب المراهقينIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...