Part 101

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Minutenlang hatte ich zusammenhangloses Zeug gestammelt, das wenig Sinn ergab und das hatte nicht daran gelegen, dass ich mich nicht traute auszusprechen, was ich wollte, sondern daran, dass ich selbst keine Ahnung hatte, was ich eigentlich wollte. Am Ende brachte ich irgendwie heraus, dass ich bis Ende des Jahres keine Prüfungen mehr reiten wollte, gar keine, nicht einmal eine Springpferde A, einfach nichts. Lukas neben mir strich mir bestärkend über den Rücken, als ich geendet hatte und in Erwartung eines großen Dramas meine Mutter ansah, die immer noch im Schneidersitz auf dem Boden saß. Kurz sah sie aus, als wolle sie zu einer Antwort ansetzen, schloss dann aber den Mund wieder und sah neben sich auf den Teppich. Dann stellte sie die Frage, vor der ich am meisten Angst gehabt hatte, weil ich keine Antwort darauf hatte.

„Was versprichst du dir davon?"

„Ich weiß nicht." Lukas Hand auf meinem Rücken gab mir einen kaum merklichen kleinen Schubs und ich rang mich dazu durch, ihr zu erklären, wie ich mich vor jedem noch so unbedeutenden Start fühlte und wie ich jedes Mal das Gefühl hatte, vor besonders wachsamen Augen besonders negativ aufzufallen. Mühsam brachte ich am Ende die Worte „Das macht mir Angst und das will ich einfach nicht mehr." heraus und wieder nahm sie sich viel Zeit, bevor sie mir antwortete.

„Wieso sollte das besser werden, wenn du einfach ein paar Monate Pause machst und sich sonst nichts ändert?" Sie klang nicht verärgert, aber extrem skeptisch. Sie hielt nichts davon, dass ich diese Pause wollte, das merkte ich sofort.

„Vielleicht komme ich dadurch aus dieser Spirale raus, in die ich reingeraten bin.", sagte ich trotzdem und sah sie flehentlich an. „Mama...bitte. Ich will nicht mehr."

Sie schloss die Augen und- zu meiner Überraschung- nickte sie. Müde, enttäuscht und traurig, aber sie nickte. „Was soll passieren, wenn es Ende des Jahres nicht besser ist, hm?"

Darauf wusste ich nichts zu erwidern und als meine Mutter für mich verschiedene Optionen aussprach, fing ich fast so haltlos an zu weinen wie Lukas zuvor. Es war, als risse sie mir einen großen Teil meiner Identität weg, als sie die Wörter Ausbildung, Abitur und Studium in den Mund nahm. Was sie mitunter vorschlug, war so viel radikaler als ich mir vorgestellt hatte und ich fühlte mich, als stünde ich plötzlich orientierungslos im Nichts. Meine Gedanken hatten bis zum Jahresende gereicht und ich hatte nicht darüber nachdenken wollen, was dann passieren sollte. In meinem ganzen Leben hatte ich nie ernsthaft in Betracht gezogen, nicht mit Pferden zu arbeiten. Das ausgerechnet meine Mutter- die sich ohne mit der Wimper zu zucken von ihren kleinen Zehen getrennt hätte, um den Beruf wieder ausüben zu können, mit dem ich gerade haderte- aussprach, dass es ein Leben abseits der Pferde gab, erfüllte mich mit einem so starken Schuldgefühl, dass ich reflexartig den Kopf schüttelte. „Denke doch in Ruhe darüber nach.", sagte Lukas neben mir. „Du musst es ja nicht machen, nur weil du mal darüber nachdenkst."

„Spiele ein Gedankenspiel, Kim.", sagte meine Mutter und stand mühsam auf. „So wie ich mit Ingolstadt. Man darf auch mal über gewagte Dinge nachdenken und muss sie am Ende deswegen noch lange nicht tun. Denke nach, überlege dir was, ich helfe dir, aber entscheide dich für eine Sache und stehe dann auch dahinter. Wenn du dich dafür entscheidest, weiterhin zu reiten, dann nicht so halbherzig wie bisher, dann mache es richtig."





Sie hatte uns eine gute Nacht gewünscht und war erst im Bad, dann im Schlafzimmer verschwunden, während ich mit Lukas auf dem Sofa sitzen blieb und mich gegen seine Schulter hatte sinken lassen.

„Du weißt, dass du jetzt bis zum Ende des Jahres keine Turniere mehr auf dem Zettel hast, oder?", fragte Lukas und ich sah ungläubig zu ihm hoch.

„Scheint so.", sagte ich langsam und fühlte mich gleichzeitig erleichtert und seltsam leer. „Das ist komisch. Ich habe keine Ahnung, wann und ob ich je so lange Turnierpause hatte." Lukas nickte und ich sah ihm die Müdigkeit an, die auch mich längst befallen hatte. Es war mittlerweile nach drei.

„Und mit Paul...", sagte Lukas sehr leise. „Das ist wirklich gut, ja?"

„Ja...." Trotz meiner Müdigkeit kribbelte mein Bauch wieder. „Richtig gut. Es ist schon...anders jetzt."

Tonlos lachend zog Lukas seine Beine an den Körper. „Du meinst, er küsst dich plötzlich?"

„Auch...." Gähnend sank ich tiefer in die Kissen und sah Lukas von der Seite an. „Wie viel verträgst du?", fragte ich zögerlich und Lukas blinzelte mich fragend an. Einerseits brannte ich darauf, ihm alles zu erzählen, gerade, weil ich weder mit Pia noch mit Jenny darüber reden wollte. Andererseits war er mein Bruder.

„Was meinst du?"

„Was kann ich dir erzählen? Ich meine, weil du...du bist."

Schnaufend atmete er aus. „Ich bremse dich, wenn es zu viel wird."

Fast eine Stunde lang erzählte ich und obwohl meine Augen brannten und Lukas alle paar Minuten laut gähne, genoss ich es, ihm alles zu erzählen. Endlich konnte ich eine ziemlich ungefilterte Version der Geschichte erzählen in der ich das Kribbeln und die Angst und die Momente, in denen Paul mir eben die nahm nicht auslassen musste. „Er ist so..." Das selige Lächeln ließ mich bestimmt aussehen wie eine grenzdebile Vollidiotin. „...toll?"

Lukas stöhnte. „Alter, kein Wunder, dass du noch nicht schläfst. Du bist ja voll im Hormonrausch." Er schubste mich an der Schulter von sich weg und stand schmunzelnd auf. „Genieße du deinen Trip. Ich bin immer noch dabei meinen Kater auszukurieren."

„Vom Hormonrausch?", fragte ich und streckte mich ausgiebig. Beide Ellbogen knackten gleichzeitig und laut.

„So ähnlich." 




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