Ich schlich ihm hinterher und als er sich aufs Sofa setzte, ließ ich mich im Schneidersitz auf dem Teppich nieder und stützte meine Ellbogen auf dem Couchtisch vor mir auf. Schuldbewusst sah ich ihn an und wartete auf das unausweichliche Donnerwetter. Schweigend erwiderte er meinen Blick, bevor er sich doch ein Stück nach vorne lehnte, seine Ellbogen auf seinen Knien ablegte und seinen Kopf schieflegte. „Hast du eigentlich eine grobe Ahnung davon, was ich gestern für Angst um dich hatte?", fragte er schließlich und zog dabei seine Augenbrauen zusammen.
„Es tut mir Leid, Papa, das kommt nicht wieder vor. Ich..."
„Das war nicht die Frage."
Ob ich wüsste, wie viel Angst er um mich gehabt hatte. Ich war mir nicht sicher, wie weggetreten ich wirklich gewesen war, als meine Mutter und er mich eingesammelt hatten. Ich wusste nicht, ob es wirklich gefährlich oder nur extrem peinlich und ungesund gewesen war. Mein Vater drehte da gern durch. Er war was Felix und mich- insbesondere mich- anging, schon immer anstrengend besorgt gewesen. Er hatte mich zwar fast alles machen lassen, aber nie ohne mir vorher einzuschärfen, was alles passieren könne. Bei der Abschlussparty meiner Klasse, die bei einer meiner Freundinnen im Garten stattgefunden hatte, hatte er im Wohnzimmer ausgeharrt, bis ich nachts um zwei zurückgekommen war. Offensichtlich hatte er mir nicht zugetraut, die anderthalb Kilometer mit dem Fahrrad und einem Handy in der Tasche alleine zu überstehen. Er hatte sich damals ziemlich lange dagegen gesperrt, dass ich nach München hatte gehen wollte. Zu weit, der Betrieb zu groß. Als ich mich schließlich durchgesetzt hatte und gefahren war, hatte ich mich gewundert, wie schnell er sich mit der neuen Situation arrangiert hatte und wie schnell die Frequenz der Anrufe abgenommen hatte. In der Rückschau tat es mir weh darüber nachzudenken, dass sich seine Bedenken bewahrheitet hatten. Hätte ich auf ihn gehört...
„Dachte ich es mir doch.", sagte er und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Lass es mich dir verdeutlichen. Ich liege schlafend im Bett und plötzlich klingelt das Handy deiner Mutter. Es ist Paul, mit dem du- falls du es vergessen hast- so heftig rumgemacht hast, dass ich schon als wir gefahren sind, Angst hatte dich da zu lassen."
„Und wieso?", murmelte ich und spürte, wie meine Ohren heiß wurden.
„Wieso ich Angst um dich hatte als ich das gesehen habe?"
„Ich bin neunzehn, Papa, nicht vierzehn. Es war Paul und kein wildfremder Typ, der mir irgendwas hätte ins Glas kippen können. Vor denen hast du mich oft genug gewarnt."
Ich sah, wie sich seine Kiefermuskeln fest anspannten und er heftig schluckte. Seiner Meinung nach war Paul also durchaus eine Warnung wert.
„Mir tut wirklich leid, dass ich so abgestürzt bin.", sagte ich und sah ihm direkt in die Augen, damit er mir glaubte. „Aber wen ich auf welcher Party wie küsse, das hat dich nicht mehr aufzuregen."
„Wenn du dabei offensichtlich so betrunken bist, dass ich nicht mehr weiß, ob du die Situation noch unter Kontrolle hast, dann regt mich das auf. Da kannst du Gift drauf nehmen!"
„Papa...", seufzte ich und schloss kurz meine Augen. Dieses Gespräch mit einem wahnsinnigen Kater zu führen, machte es noch schwerer und unangenehmer, als es ohnehin schon war. „Wenn du gestern Abend wirklich da warst und wirklich hingesehen hast...." Ich holte tief Luft und verlieh mir in genau dem Augenblick selbst einen Tapferkeitsorden. „dann hast du schon gesehen, dass das von mir ausging, oder?" Paul schuldete mir ohne Zweifel ein Jahr lang frisch gekochtes Abendessen.
Mein Vater sah aus, als hätte ich ihn geohrfeigt. „Mir ist total egal, was da von wem ausging. Darum geht es auch nicht."
„Doch." Genau darum ging es. Vielleicht weniger für ihn, aber für mich. „Paul wollte mich nach Hause bringen, aber..."
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...