Das erste, was ich wahrnahm, war der Geruch von frisch gewaschener Wäsche. Dann das Zwitschern der Vögel und die Sonne, die mir ins Gesicht schien. Benommen blinzelte ich und glaubte einen Sekundenbruchteil später zu spüren, wie mir jemand die Schädeldecke aufbohrte. Zumindest fühlte es sich so an. Desorientiert sah ich mich um und brauchte eine ganze Weile, bis ich wusste, wo ich war. Blauer Teppich auf hellem Holzfußboden, ein schlichter aber großer weißer Kleiderschrank an der gegenüberliegenden Wand, in der Ecke ein weißer Stuhl, auf dem sich Klamotten stapelten, weiße Wände, ein großes Fenster mit zur Seite gezogenen, blauen Vorhängen, durch das man nach unten auf den Hof schauen konnte. Ein breites, gemütliches Bett mit hellblauer Bettwäsche, darüber ein großer, gerahmter Kunstdruck. Ich stöhnte auf, dieses Mal weniger vor Schmerz als vor Scham. So wenig Möbel und so viel blau auf einem Fleck -das war das Schlafzimmer meiner Eltern. Was war passiert, dass ich hier gelandet war? Vor mir auf dem Boden stand eine alte Kartoffelschüssel, ein Glas und eine Flasche Wasser. Vorsichtig wandte ich meinen Kopf zur Seite und sah auf der anderen Bettseite eine kleine, zierliche Person unter einer Bettdecke liegen, die langen braunen Haare verteilten sich über das Kopfkissen. Meine Mutter schlief. Zumindest tat sie das, bis ich versuchte, mich auf die andere Seite zu drehen und mir dabei noch in der Bewegung so schlecht wurde, dass ich es gerade noch rechtzeitig schaffte, mich zurückzudrehen und mich in die Kartoffelschale zu übergeben. Mein Kopf hämmerte nur noch mehr und mein Magen zog sich wieder und wieder so fest zusammen, dass meine Augen tränten, weil ich kaum Luft holen konnte. Neben mir hörte ich das Rascheln der Bettdecke, dann stand meine Mutter auf, kam ums Bett herum und ging vor mir in die Knie. Ich hatte noch immer Schwierigkeiten mit dem Würgen aufzuhören und mir liefen mittlerweile die Tränen über die Wangen.
„Na, guten Morgen.", sagte sie mit einem tiefen Seufzen und wartete, bis ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich mich zittrig und verschwitzt zurück aufs Bett sinken lassen konnte. Kommentarlos griff sie nach der Schale, verschwand damit im Bad und kam kurz mit der sauberen Schale und einem feuchten Waschlappen zurück.
„Was ist passiert?", flüsterte ich angestrengt, während ich mir mit dem Waschlappen den Schweiß von der Stirn wischte.
„Du warst so betrunken, dass ich mich entscheiden musste, ob ich dich noch mit hierhin bringe oder doch lieber einen Krankenwagen rufe.", antwortete sie ruhig und nahm mir den Waschlappen wieder ab.
„Scheiße.", krächzte ich. „Das tut mir Leid, das tut mir so Leid." Mehr konnte ich noch nicht sagen, mir war einfach zu schlecht.
„Ich weiß. Schlaf weiter, wenn du kannst. Das ist das Beste, was dir passieren kann." Damit ließ sie mich alleine, mehr sagte sie nicht. Die Schlafzimmertür ließ sie hinter sich offen und ich hörte, dass sie in der Küche beschäftigt war. Immer wieder hörte ich Klappern, Schritte, irgendwann auch die Kaffeemaschine. Erschöpft rollte ich mich unter der Decke so klein wie möglich zusammen und hielt meinen sich immer wieder schmerzhaft zusammenkrampfenden Magen mit zusammengepressten Augen und Zähnen aus, während mein Kopf sich anfühlte, als wolle er jeden Moment auseinanderspringen. Immer wieder wechselte sich das Eindösen, das Abgleiten in einen angenehmen, schmerzfreien Zustand mit dem Hochschrecken in die Realität ab, in der ich dagegen ankämpfte, mich zu übergeben. Wie lange dieses Wechselspiel dauerte, konnte ich nicht sagen. Irgendwann, als mein Körper die elendige Kämpferei satt hatte, schlief ich tatsächlich ein, tief und fest. Es war- wie meine Mutter gesagt hatte, das Beste, was mir hätte passieren können.
Erst am frühen Nachmittag weckte sie mich, als sie sich mit einem Teller und einem trockenen Brötchen für mich an die Bettkante setzte. Mein Kopf dröhnte immer noch, mein Magen schmerzte wahnsinnig, aber mir wurde nicht mehr ständig übel.
„Knabbere ein bisschen an dem Brötchen herum.", sagte sie mit einem erschöpften Lächeln, nachdem ich mich schwerfällig aufgerichtet hatte. „Das hilft gegen die Magenschmerzen."
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...