Bis zum Samstagabend hörte ich gar nichts. Nicht ein Wort. Nach der Arbeit, bei der ich mich irgendwie zusammenriss, ging ich laufen, machte mit Marieke Sport oder leistete Benthe beim Fernsehen Gesellschaft. Ruhe hielt ich nicht aus, Alleinsein hielt ich nicht aus. Bei meinen Eltern anrufen hielt ich nicht aus. Die unausgesprochene Frage nach Paul brannte Löcher in meine Konzentration und spätestens abends lief ich vor Anspannung und Erschöpfung fast die Wände hoch. Pip, der normalerweise gut erzogen vor dem Bett liegen blieb, hopste in der zweiten, tränenreichen Nacht zaghaft zu mir aufs Bett und rollte sich, als Protest ausblieb, schwer auf meinen Füßen ein. Das half zumindest für den Moment. Am Freitagmorgen schlich ich nach dem morgendlichen Füttern fertig zu Benthe und fragte sie, ob ich außerplanmäßig am Wochenende nach Hause fahren könne. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass sie das schon erlauben würde und gedanklich war ich schon dabei, meine Tasche zu packen. Stattdessen lief ich vor eine Wand. Sie wolle wegfahren, Carls Tochter habe Geburtstag und Marieke und ich müssten- wie abgesprochen- den Stall am Wochenende alleine schmeißen. „Sorry, Kim. Wenn wir die Dienste festlegen, ist das verbindlich." Sie lächelte nicht, als sie das sagte und ich fühlte mich wie ein belehrtes, kleines Mädchen. In dem Moment wollte ich nicht einsehen, dass Benthe in dem Augenblick exakt dasselbe über mich dachte.
Am Samstag- die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und das Thermometer kletterte auf 25 Grad- warf Marieke mir während wir gemeinsam misteten, fütterten und die Pferde rausstellten, immer wieder fragende Blicke zu. Sie wusste mittlerweile, dass es zwischen Paul und mir heftig gekracht hatte und ich hatte ihr gegenüber auch eingeräumt, dass ich ihm mit meiner Eifersucht wohl auf die Nerven gegangen war. Was ich sonst noch gesagt hatte und warum meine Worte eine solche Sprengkraft gehabt hatten, behielt ich für mich. Sie hatte so schon wenig Verständnis für meine Situation gezeigt. „Ich habe euch nur einmal so richtig zusammen gesehen und weiß trotzdem, dass der Kerl nachts nur von dir träumt. Dieser Stress ist so unnötig.", hatte sie schulterzuckend gesagt und mein schlechtes Gewissen nur noch anwachsen lassen.
„Du kennst ihn nicht.", hatte ich erwidert und dabei düsterer geklungen, als ich beabsichtigt hatte.
„Wie? Du meinst, der hatte ein Leben vor dir? Fieser Typ." Sie hatte dramatisch ihre Augen verdreht und ich hatte keine Antwort mehr gewusst. Dazu war sie dem Kern des Problems zu nahe gewesen.
Danach hatten wir das Thema nicht mehr aufgegriffen, aber während ich die Heuportionen in den Boxen verteilte, spürte ich nicht nur ihren Blick im Rücken sondern auch, dass sie es kaum aushielt nicht danach zu fragen, wie der Stand sei.
„Gleich Eispause?", fragte sie gegen Mittag und schüttelte sich Heu und Stroh aus den Klamotten und Haaren. Ich nickte- missmutig zwar, aber darüber ging Marieke hinweg. Ich gab ihr meinen Schlüssel und sie kam mit Eis am Stiel- dunkle Schokolade mit Mandelsplittern- zurück. „Schokolade hilft.", waren ihre Worte, als sie mir das Eis reichte und ich zog gequält meine Mundwinkel nach oben.
„Habt ihr euren Stress noch immer nicht geklärt?"
„Ne."
„Klärt ihr das noch?"
„Weiß nicht."
Sie ächzte. „Rufe ihn an."
„Er will anrufen." Wie schon immer wieder in den letzten Tagen spürte ich sehr bewusst mein Handy in meiner Hosentasche. Es war auf laut gestellt- was es sonst so gut wie nie war. Jede noch so unwichtige eingehende Nachricht brachte mich so an den Rande eines Nervenzusammenbruchs.
„Dann sage ihm, er soll anrufen?", schlug Marieke vor und legte den Kopf schief. „Wobei: sage vielleicht lieber, dass du dich freuen würdest, wenn er dich anruft. Nur mal so als Idee."
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...