Der Abend war so nett und entspannt, dass ich zwischenzeitlich meine Angst davor, dass Felix oder Lukas quatschen könnten, vergaß. Zumindest, bis Felix mir in einem unbeobachteten Moment- Paul tauschte gerade mit Lukas Holz gegen Erz- einen verschwörerischen Blick zuwarf, den Kopf in Pauls Richtung neigte und stumm „Renesse" mit seinen Lippen formte. Ich wollte ihn fest treten, aber statt seines Knies erwischte ich nur das Tischbein. Felix feixte schadenfroh, ließ das Grinsen aber fallen, als mein Vater ihn irritiert ansah. Danach blieb er friedlich und beschränkte sich darauf, Lukas einen bedeutungsschweren Blick zuzuwerfen, als Paul mir nach Ende des Spiels seinen Arm um die Schultern legte. Ich streckte Felix mit einem genervten Augenrollen die Zunge heraus und ließ mich gegen Paul sinken. Lukas, der die Rohstoffkarten sortierte, zwinkerte mir zu als er sah, wie Pauls Finger langsam über meine Schulter strichen und ich zwinkerte zurück. Er hatte unausgesprochen für gut befunden, was er sah und ich hatte genauso unausgesprochen rückgemeldet, dass er auch jeden Grund hatte, das gutzuheißen.
„Wie geht es eigentlich Pia?", fragte er beiläufig, während er die sortierten Karten in den Karton legte und den Deckel vom Boden klaubte.
„Ich glaube, die hat eine Menge Stress im Moment. Die schreibt Klausuren.", sagte Paul. „Man hört jedenfalls wenig. Das ist meistens ein gutes Zeichen- dann ist sie beschäftigt."
Lukas lachte kopfschüttelnd. „Ja, Klausurenstress. Prima Sache- man ist tatsächlich sehr beschäftigt." Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Aber dann kommt die Ponylösung ihr ja sicher entgegen, oder?"
„Ich denke mal.", murmelte ich und zuckte mit den Schultern. Ich hatte es immer noch nicht geschafft, sie anzurufen. Renesse war dazwischen gekommen. Renesse...Ich biss mir auf die Unterlippe und die Finger meiner rechten Hand, die auf Pauls Oberschenkel lag, drückten sich fester in den Stoff seiner Jeans. Weggehen wäre bescheuert. Ich wollte doch nicht wirklich weg.
Abwesend hörte ich dabei zu, wie meine Eltern, Felix, Paul und Lukas über die Ponylösung sprachen- also darüber, wie gut es mit Niro lief, wie sportlich und fit der wieder aussah und darüber, dass Felix sich in der kommenden Turniersaison auf ihn konzentrieren und Lugar nur noch ab und an mal mitnehmen würde. Meine Gedanken kreisten währenddessen um Sandstrand, Dünen und dieses ganz andere Gefühl, dass mich da beim Reiten gepackt hatte. Ich hatte die Unverkrampftheit, die mir fehlte, seit ich wieder zuhause war, dort wiedergefunden- und gleich dagelassen. Ich wollte sie zurück, Abi hin oder her. Ich wollte das trotzdem zurück. Mühsam unterdrückte ich ein frustriertes Seufzen. Felix hatte nicht Unrecht gehabt: Paul würde einen mehrmonatigen Trip von mir nach Renesse ungefähr so prima finden wie ich den Gedanken, dass er abends mit Jenny nach irgendeiner Turnierparty im Hotelzimmer versackte- und wer weiß was noch. Schon die vage Vorstellung ließ meine Eifersucht hochkochen und meine Finger krallten sich automatisch noch fester in sein Bein. Das Bild von ihm und Jenny, das ich auf Amrum auf seinem Handy gefunden hatte, war mit einem Mal präsenter, als mir lieb war und ich wand mich aus seinem Arm und stand auf, als das Gefühl übermächtig wurde.
„Ich bin müde.", sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, als sei mir kalt, während ich mich gleichermaßen mies und hin- und hergerissen fühlte.
Die ganze Nacht über wälzte ich mich unruhig herum und hielt damit Paul wach, der eigentlich so tief und gut schlief wie ein Koala.
„Was denn?", murmelte er irgendwann genervt und rutschte noch weiter an den Rand seiner Matratze, um mir aus dem Weg zu gehen.
„Nichts.", erwiderte ich knapp.
„Dann schlafe doch einfach.", nuschelte er und zog die Decke höher.
„Kann ich nicht."
„Dann bewege dich einfach nicht.", murmelte er leise in sein Kissen. Als ich nicht antwortete, hob er schuldbewusst den Kopf und seufzte tief. „Warum kannst du nicht schlafen?"
Ich schloss meine Augen für einen Moment und schüttelte den Kopf. „Einfach so."
Vielleicht war es der beunruhigte Blick, den er mir danach zuwarf und in dem ich deutlich lesen konnte, dass er merkte, dass es irgendwie um uns ging. „Was ist los, Kim?" Er drehte sich auf die Seite, bis er mich ansehen konnte, rutschte doch wieder zu mir heran und strich mir eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr.
„Ich...." Ich brachte es wirklich kaum über mich, aber dann erzählte ich doch von der vagen Idee und während ich davon erzählte, merkte ich, wie sehr es mich wirklich nach Renesse zog, wenn ich an das Wochenende dort zurückdachte. Paul hörte stumm zu. Er hatte seinen Ellbogen aufgestützt und sein Kinn ruhte auf seiner Hand, während er mit der freien Hand an der Decke herumfriemelte. Er war nicht begeistert, das sah ich schon lange bevor ich zum Ende kam. Mit jedem meiner Worte wurde sein Ausdruck ein bisschen härter und seine Gesichtszüge bekamen etwas betont gleichmütiges. Ich hatte kaum meinen letzten Satz zu Ende gesprochen, als er die Decke zurückschlug, aufstand und anfing, mit verschränkten Armen im Zimmer herumzutigern. Ich verstummte nervös und zog mir die Decke über die Knie.
„Bist du bescheuert?" Das war die erste Frage, die er nach einem Moment des Schweigens in den Raum warf und ich sah, wie sich mit schweren Atemzügen seine Brust hob und senkte.
„Paul..."
„Paul...", äffte er mich nach und schnaubte. „Ist sonst noch was?"
„Es ist doch nur eine Idee.", versuchte ich ihn zu beschwichtigen und merkte, dass ich dabei klang wie meine Mutter, als sie versucht hatte, sich vor mir für ihre Ingolstadt-Idee zu rechtfertigen. Auf einmal tat mir meine Reaktion von damals fast leid.
„Eine vielsagende Idee.", erwiderte er finster und lehnte sich gegen die Zimmerwand, während er mich unnachgiebig anfunkelte. „Hast du da jemanden? Willst du mich loswerden?" Er klang zynisch, als er das fragte.
„Mache dich nicht lächerlich." Tatsächlich hätte ich fast gelacht. Die Idee war absurd. Ich war in Renesse die Hälfte der Zeit mit dem Gedanken an unser Wiedersehen rumgelaufen- vollaktiviertes Ganzkörper-Ameisenvolk inklusive. Außerdem hatten andere Männer auf mich- und das seit Pauls und meinem ersten Kuss, den ich so unnötig versaut hatte- haargenau die Anziehungskraft einer unreifen Tomate.
„Sagt die, die mir hinterherspioniert.", sagte er kühl. „Wie willst du das machen, wenn du in Renesse bist?"
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Hoppla... vielleicht hat unser Paulchen Kim ihre Handyaktion doch nicht so uneingeschränkt verziehen, wie sie gehofft hat.
Außerdem in freier Wildbahn zu beobachten: zwei eifersüchtige Hitzköpfe.
am Rande: Ist Pia eher so Team Hund oder Team Katze? 🐕🐈
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...