Part 87

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Wir hatten überlegt, was wir mit dem angebrochenen Tag noch anfangen sollten und Paul hatte schließlich vorgeschlagen, dass wir zusammen eine Runde durch den Wald drehen könnten. Pia hatte erst wenig begeistert ihr Gesicht verzogen und immer wieder betont, dass sie keine Reitsachen dabei habe, irgendwann aber doch den Widerstand aufgegeben, eine meiner Reithosen angezogen und ein paar abgewetzte Stiefeletten aus ihrem Kofferraum geholt.

„Welches Edelbiest muss ich denn bändigen?", hatte sie mürrisch auf dem Weg in den Stall gefragt, bevor ich ihr Lolo aus der Box gezogen hatte.

„Der ist grottenbrav, versprochen."

„Und im Moment Kims Edelbiest Nummer Eins.", rief Paul aus Fias Box. „Den musst du heile lassen."

„Na prima." Sie beobachtete Lolo misstrauisch, der verspielt nach dem Ende seines Stricks schnappte. „Bist du dir sicher, dass du mich mit dem in den Wald schicken willst?"

„Ich könnte dir noch eine unausgeglichene Donni anbieten und Paul würde dich sicherlich gern auf Rasputin lassen.", erwiderte ich und zwinkerte ihr zu.

„Ich meinte eher, ob ihr nicht einen für mich habt, dessen Beine nicht so teuer sind.", seufzte sie und band Lolo an. „Der ist gut versichert, oder?"

Paul lachte schallend und ich schüttelte ungläubig den Kopf. Pia entspannte sich sichtlich, während wir die Pferde putzten und ich genoss, wie mich die Stallluft von meinem Kater ablenkte. Außerdem brachte Pia, die sich für Pauls und meine Maßstäbe wirklich viel Zeit beim Putzen ließ, einfach eine ganz andere Stimmung in den Stall. Wir quatschten locker, sie kasperte mit Lolo herum, der- begeistert davon, dass jemand seinen Quatschkopf zu schätzen wusste- immer wieder mit seinen Lippen nach ihrem T-Shirt schnappte. Bei mir hätte er sich dafür eine gefangen, aber Pia machte sich einen Spaß daraus seine Oberlippe rechtzeitig einzufangen. Ich sattelte schon Milano, als Pia gerade anfing die Hufe auszukratzen.

„Hetze nicht so, Kim.", schimpfte Pia als sie sah, wie ich den Sattelgurt festzog. „Sonst bist du schon im Wald, wenn ich mich frage, welchen Sattel ich nehmen soll."

Es dauerte noch fast zwanzig Minuten, bis wir die Pferde aus dem Stall führten und aufsaßen. Ich konnte nicht anders als zu beobachten, wie Pia ein bisschen ungelenk ihr Bein über Lolos Kruppe schwang.

„Gucke nicht so, Profi.", sagte sie und nahm die Zügel auf. „Der hat andere Abmessungen als mein Pony." Während wir den Hof Richtung Wald verließen, fragte Pia mich über Lolo aus. Ob er sensibel am Bein wäre, ob er gut zurückkäme, ob er schreckhaft sei. Es war offensichtlich, dass sie sich eine ganze Weile kaum traute, ihn richtig anzufassen.

„Der ist nicht aus Glas.", stellte Paul irgendwann treffend fest. „Probiere doch einfach mal aus, der läuft ja morgen keine Prüfung."

„Hmhm..." Pia ließ sich ein paar Meter zurückfallen und Paul und ich ritten nebeneinander vorweg. Er lächelte mir ruhig zu, die Zügel halblang, während Fia gemütlich dahinschritt.

„Dafür, dass es dir gestern Abend so mies ging, bist du verhältnismäßig fit."

„Der Schein trügt. Ich werde später bestimmt nicht mit euch anstoßen." Immerhin war mein Magen sich immer noch nicht zu hundert Prozent sicher, was er von dem Pfannkuchen halten sollte.

„Das brauche ich heute auch nicht. Das wird ein ruhiger, alkoholfreier, vielleicht etwas langweiliger Start in meinen Geburtstag. Mal gucken, ob ich um halb eins noch wach bin oder schon schlafe." Er gähnte laut und gurtete beiläufig nach.

„Sind wir zu professionell zum durchparieren, Herr Carstens?", rief Pia von hinten und Paul parierte demonstrativ zum Halten durch und gurtete überkorrekt nach.

„Du bist die Pest, Pia.", stöhnte er dabei und Pia nutzte die kurze Pause, um selbst den Gurt nachzuziehen.

Ich ritt schmunzelnd an und vor den beiden her. Die beiden käbbelten sich genau wie früher. Pia zog Paul damit auf, dass er bestimmt heimlich geübt hatte, im Galopp nachzugurten, um die Konkurrenz am Abreiteplatz zu beeindrucken. „Klappt das?", fragte sie hämisch. „Kriegen die Angst, wenn du das abziehst?"

„Du hast es doch heute beobachtet. Klappt es?", fragte er zurück.

Wir ritten noch Schritt, bis wir einen breiten Sandweg erreichten, dann nahm ich die Zügel auf und drehte mich zu den beiden nach hinten um. „Bisschen traben bis zur großen Kreuzung und dann im dritten Gang den langen Reitweg runter?"

„Können wir das mit dem dritten Gang nachverhandeln, wenn es soweit ist?", rief Pia mir zu. Paul schnaubte nur belustigt, setzte sich an die Spitze und trabte an. „Den dritten Gang nachverhandeln. Wo gibt's denn sowas? Mädels, mir nach."

Ich ließ Pia vor, bildete das Schlusslicht und beobachtete eine Weile, wie Lolo mustergültig unter Pia dahintrabte. So ängstlich sie sich gab, sie hatte ihn im Griff und das Reiten nicht verlernt. Als Paul die Hand hob, deutlich drei Finger zeigte, Fia frisch angaloppierte und Pia und ich folgten, ging sie so geschmeidig und sicher in den leichten Sitz, dass ich meine Aufpasserrolle aufgab und nur noch genoss, wie mir der Wind durch die Haare fuhr und die Bäume an uns vorbeizogen. Milano schnaubte gerade zufrieden, als Paul wieder seine Hand hob. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich erkannte, dass er vier Finger zeigte. Pia schien im gleichen Moment kapiert zu haben, was er vorhatte.

„Du Drecksstück.", brüllte sie gerade noch nach vorne, als Paul schon zulegte und mir nur Sekunden später der Sand des Reitwegs ins Gesicht geschleudert wurde. Ich brauchte ein paar hundert Meter, bis ich wirklich drin war, bis ich genoss, wie Milano unter mir dahinjagte, fast wie tiefergelegt, wie er vergnügt grunzte und ich ihn lachend davon abhielt, den Kopf zwischen die Beine zu stecken und zu buckeln. Mein Herz schlug dabei schnell und ich fühlte mich lebendig und wach wie lange nicht mehr. Fia bockte zwischendurch wild ab, aber Paul sah zumindest von hinten unbeeindruckt aus und ritt weiter vorwärts, während Lolo wie an der Schnur gezogen geradeaus galoppierte. Pia warf mir einen sehr kurzen, sehr flüchtigen Blick über die Schulter zu, als sie Milanos übermütiges Grunzen hörte. Sie strahlte übers ganze Gesicht. Frei, glücklich, echt. So wie früher, ganz so, als wären die letzten Jahre und alles, was passiert war, einfach ausradiert. Ich strahlte zurück und galoppierte ihr und Paul hinterher, der lange vor dem Ende des Reitwegs, viel zu früh, wieder die Hand hob, jetzt aber alle fünf Finger zeigte und anfing, Fia wieder einzufangen. Als alle drei Pferde wieder trabten, kräftig schnaubend und schnaufend, wandte Paul sich uns mit übermütig blitzenden Augen zu. Mein Herz machte einen Satz, der nichts mit dem Galopp von eben zu tun hatte.

„Ihr seht sandig aus, Mädels. Was ist mit euch passiert?"



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Ein bisschen alkoholfreie Pferderomantik. Weil: so ist es eben manchmal 😍


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