Part 147

109 16 7
                                    


Wir saßen gemeinsam auf dem Sofa, während ich von Renesse erzählte. Von Pip und Bella, von Highlight, von Benthe, die ihren Stall vielleicht aufgeben wollte, von Marieke und ihren Freundinnen und von der Wehmut, die mich auf dem Heimweg befallen hatte. So richtig weggehen wollte sie bisher nicht. Schon gar nicht, wenn ich meine Berittpferde im Training ritt und dabei aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, wie Paul meine Pferde- die eben genau das nicht waren- ritt. Und wie es Anerkennung dafür hagelte. Das tat nicht weh, aber nach dem vermurksten letzten Jahr, in dem die Begeisterungsstürme über meine Reiterei ausgeblieben waren, spürte ich doch den Neid an mir nagen. Meine Mutter, sonst wenig zurückhaltend mit Kritik, hatte nichts an dem auszusetzen, was Paul mit Lolo, Milan oder Fia machte und bei dem was mit Rasputin so lief, sah sie nicht so genau hin. Am Morgen erst hatte Rasputin Paul fies abgesetzt und bei der Aktion gleich noch gezielt nach ihm getreten- und Paul hatte wirklich rot gesehen. Was ich verstand. Es war nicht die erste gefährliche Situation, in die der Wallach ihn gebracht hatte und wären seine Hinterhufe dicht an meinem Kopf vorbeigeflogen, hätte er auch bei mir keine Streicheleinheit zu erwarten gehabt. Und trotzdem: irgendwie fühlte ich mich immer noch verantwortlich für das, was Rasputin tat und was man mit ihm tat. Der dicke Striemen auf seinem Hintern war für mich vielleicht deshalb nicht weniger schwer zu ertragen als Pauls dickes Handgelenk. Ich hatte nicht einmal Zweifel daran, dass Paul wirklich noch derjenige im Stall war, zu dem Rasputin am besten passte und der sein Potenzial noch am besten herausreiten konnte- aber ich hatte mich nach der Aktion bei dem Gedanken erwischt, ob das reichte. Oder ob Rasputin nicht- ähnlich wie ich- vielleicht gerade im Sport nicht funktionieren konnte.

„Jedenfalls", seufzte ich, griff nach der Tüte Fruchtgummi auf dem Wohnzimmertisch und angelte eins heraus. „habe ich gerade eher Meerweh als Heimweh." Auch wenn es das Wort nicht gab.

„Meerweh." Lukas hob belustigt seine Augenbrauen. „Mit H oder mit doppeltem E?"

„Meerweh wie das Meer." Genervt verdrehte ich meine Augen und schnaubte. „Testest du meine Buchstabierfähigkeit? So als Schuleingangstest?"

„Es hätte ja sein können, dass du in Metaphern sprichst." Er setzte sich auf und hielt mir auffordernd seine geöffnete Hand hin, bis ich schweren Herzens das Fruchtgummi mit ihm teilte. Bei Fred Ferkel endete die Geschwisterliebe eigentlich. „Mehrweh wie mehr Abenteuer."

„Abenteuer?" Ich lachte laut. „Weil ich feiern war mit den Mädels?"

„Vielleicht."

„Ich brauche kein Abenteuer." Mein Abenteuer hatte vermutlich gerade Kühlgel auf dem Handgelenk und fragte sich so langsam, wo ich blieb. Ich sollte ihm schreiben, dass Lukas da war.

„Oder Mehrweh wie nochmal was anderes sehen, bevor der Ernst des Lebens beginnt." Er seufzte zufrieden und verschränkte die Hände im Nacken. „Ich habe gestern mit Juan unseren Kletterurlaub im kommenden Sommer geplant- damit ich es aushalte, bis dahin gegen Bürowände zu gucken."

„Was für eine Aussicht.", spottete ich, aber Lukas ging nicht auf meine Provokation ein und streckte sich.

„Insgeheim willst du auch in den Dolomiten herumklettern."

„Ich will ans Meer, Lukas. Berge beklettern ist doof, anstrengend und gefährlich." Damit warf ich ihm das vorletzte Ferkel zu, das er etwas ungelenk auffing. Das letzte steckte ich mir selbst in den Mund. „Vielleicht fahre ich im Sommer mit Paul nach Renesse."

„Wieso arbeitest du nicht einfach bis zum Sommer in Renesse?"

Die Frage kam so unvermittelt und direkt, dass ich mich vor Schreck verschluckte. Hustend setze ich mich auf und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.

„So krass ist der Vorschlag jetzt auch nicht.", sagte Lukas und beobachtete mich dabei, wie ich nach Luft schnappte. „Krasse Sprünge machst du bis zum Sommer doch hier eh nicht mehr. Sorry für den schlechten Wortwitz. "

„Du...", krächzte ich und brach ab, weil ich doch wieder Husten musste.

„Andere machen work and travel nach der Schule. Du könntest das quasi vor dem Abi einschieben. Mal rauskommen, dich persönlich weiterentwickeln, Spaß haben und dabei nicht völlig vergammeln..." Er setzte sich ebenfalls auf und tätschelte mir den Rücken. „Vorausgesetzt du erstickst jetzt nicht."

„Mache ich nicht.", brachte ich hervor, hustete ein letztes Mal und holte dann tief Luft. „Im Ernst, Lukas, das geht nicht." Und ich hatte darüber nachgedacht. In dem Moment, in dem Benthe am Strand gesagt hatte, die Hunde hätten nichts dagegen, wenn ich bleiben würde, da war mir der Gedanke gekommen, einfach bis zum Sommer zu bleiben, Benthe quasi nichts zu kosten, bei ihr zu wohnen und beim Reiten auszuhelfen, bis die Schule anfing. Renesse im Frühjahr und Sommer musste ein Traum sein- ich hatte mich schon mit den Pferden im Wasser gesehen. Auf der Heimfahrt waren mir dann aber zwei Dinge sehr klar geworden: meine Eltern hatten unter meinen launenhaften Entscheidungen was die Reiterei und die Arbeit anfing genug gelitten und mit ihnen das ganze Team. Ich konnte meinem Vater diesen Ausflug nicht damit danken ihm zu verkünden, dass ich jetzt gern bei Benthe anfangen würde. Das brachte ich einfach nicht über mich. Und dann war da die Sache, die ich nicht bringen wollte. Ich hatte Paul nach zwei Tagen vermisst. Ich wollte nicht wissen, wie sich das nach mehreren Wochen oder Monaten anfühlen würde. Und die Sache mit dem sich besuchen, die würde spätestens wenn die Turniersaison losgehen würde zumindest eine große Herausforderung werden. Darüber konnte mich auch das Bild von Paul und mir am Strand von Renesse, das ich sehr lebhaft vor mir sah, nicht hinwegtäuschen. 



-----

Nur ein kleiner Teil zum Start des Wochenendes :) Ich gehe mich eine Runde ausschlafen, bevor es morgen weitergeht. Mit dem Lukas und seinen verwegenen Ideen....Hat noch irgendwer Kim bis zum Sommer in Renesse gesehen? 😁



AuftauchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt