Part 156

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Die nächsten Tage arbeiteten Paul und ich wie gewohnt- wenn auch mit kleinen Augen, weil die Abende immer länger wurden, je näher meine Abreise rückte. Mit jedem Tag, der verstrich spürte ich, wie die Aufregung wuchs, wie die Vorfreude auf Renesse zunahm und wie ich gleichzeitig anfing Paul zu vermissen, obwohl der noch jeden Morgen neben mir aufwachte. Paul, der direkt nach unser Versöhnung versucht hatte, sich zuversichtlich und gut gelaunt zu geben, wurde dann zwei Tage, bevor es losgehen sollte, verdammt still. Er, der sonst oft vor mir einschlief, wälzte sich in der Nacht ruhelos herum und als ich am nächsten Morgen vor dem Klingeln des Weckers die Augen aufschlug, weil mir einfach viel zu warm war, hatte er seine Arme und Beine um mich geschlungen und seine Nase in meinen Haaren vergraben. Er ritt vormittags ein so furchtbares und unkonzentriertes Training, dass meine Mutter ihn nach zwanzig Minuten aufhören ließ und ihn bat, ihr und den Pferden den Gefallen zu tun, einfach ausreiten zu gehen. Mit rotem Kopf ritt er danach mit Fia Richtung Wald und lehnte mein Angebot ihn zu begleiten ab. „Muss mal durchatmen.", murmelte er und verzog unglücklich sein Gesicht. Ich nutzte die Zeit, um Daytona ein letztes Mal zu reiten, die, wie um mir den Abschied möglichst schwer zu machen, sich von ihrer besten Seite zeigte und meinen Vater, der selbst auf dem Pferd saß, dazu brachte, sich fast den Hals zu verrenken, weil er versuchte, die junge Stute im Blick zu behalten. Als ich die Zügel aus der Hand kauen ließ und Daytona dabei überschwänglich lobte, lächelte er mir zu und nickte anerkennend. „Du kannst die weiterreiten, wenn du zurückkommst, weißt du?", sagte er und ich sah an seinem Blick, wie er insgeheim auf ein richtiges Vater-Tochter Projekt hoffte. „Die steht dir wirklich gut."

„Mal sehen.", sagte ich ausweichend, weil ich nicht noch im Weggehen Versprechungen für die Zeit nach Renesse machen wollte. „Donni spielt danach sowieso erstmal die erste Geige." Donni zuhause zu lassen war so richtig wie es schwierig war für mich. Sie döste täglich in der Mittagssonne auf dem kleinen Paddock vor ihrer Box und wurde erst so richtig wach, wenn man mit ihr ihren Spaziergang machen wollte. Es war nicht so, dass sie stetig jeden Tag besser aussah und man sich sicher sein konnte, das es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie wieder vollständig fit wäre. Das hatte ich mir ehrlicherweise erhofft und ich erschrak jedes Mal, wenn ich in den Stall kam und sie dann doch Heu übrig gelassen hatte oder einfach liegen blieb, wenn ich an ihrer Boxentür stand. Mich machte das nervös und meine Hand zuckte jedes Mal zu meinem Handy, um den Tierarzt zu rufen. Was ich dann doch nicht tat, weil ich mittlerweile wusste, dass sie innerhalb einer Stunde oft schon wieder ein ganz anders Bild abgab. Sie aufzuladen und nach Renesse zu fahren, sie dort einzustallen und mit dem Umgebungswechsel zu stressen war das letzte, was sie gebrauchen konnte. „Passt mir gut auf die auf.", sagte ich deshalb. „Ehrlich, die muss noch auf allen Vieren stehen, wenn ich zurückkomme."

„Das wird sie.", sagte mein Vater zuversichtlich und während ich trocken- und er warmritt, besprachen wir, was mit Donni in den nächsten Monaten passieren sollte. Danach drehte ich noch eine Runde über die Stallgasse und verabschiedete mich von Milano und Lolo, bevor ich ganz zum Schluss bei den Paddocks vorbeischaute und mich dort von Rasputin verabschiedete, der mich keines Blickes würdigte. Ich hatte eine Idee gehabt für ihn und ich hatte sogar Paul gefragt, was er darüber dachte. Für einen Moment hatte ich wirklich überlegt Rasputin mitzunehmen nach Renesse und ihn dort einfach mal aus allem rauszunehmen. Ihm die Auszeit zu geben, die ich mir gab und einfach mal auszuprobieren, wie er sich benehmen würde, wenn er Sommer wie Winter den ganzen Tag nach draußen könnte. Nicht, dass ich mich mit ihm am Strand gesehen hätte- lebensmüde war ich dann doch nicht- aber ich fragte mich schon, ob seine Launen berechenbarer werden würden, wenn man den Druck herausnehmen würde. Ich hielt ihn nach wie vor nicht für so irre, wie er sich manchmal benehmen konnte, aber Paul hatte belustigt geschnaubt, als ich ihm meine Gedanken zu dem Wallach mitgeteilt hatte. „Mir wäre egal, ob du Schnappi mitnimmst, ich würde dem keine Träne nachweinen. Aber du glaubst nicht im Ernst, dass deine Eltern dir Rasputin mitgeben, damit er ein bisschen Kur macht, oder?" Damit hatte er so Recht, dass ich den Gedanken dann doch lieber für mich behalten hatte.

„Sagst du Auf Wiedersehen?"

Ich erschrak so heftig, dass ich zusammenzuckte. Als ich herumwirbelte und Nika sah, holte ich erleichtert Luft, auch, wenn ich auf ein Gespräch mit ihr wenig Wert legte. Seit dem Abend auf dem Vereinsturnier, an dem sie sichtlich entrüstet Paul und mich auf der Tanzfläche beobachtet hatte und Simon mir wenig später noch an den Kopf geworfen hatte, dass ich im Begriff war, meinen Ruf zu ruinieren, hatte sich mein Kontakt mit den beiden auf mal mehr, mal weniger freundliches Grüßen beschränkt. „So ungefähr.", sagte ich und wandte mich wieder Rasputin zu, der dem Zaun und mir immer noch die Kruppe zudrehte.

„Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du gehst und dann plötzlich, vor einer Woche oder so, da kam Simon plötzlich mit der Nachricht um die Ecke.", sagte sie und ich spürte, dass sie genauso wenig wie ich mit der Situation anzufangen wusste. Sie hatte sich verabschieden wollen und das rechnete ich ihr hoch an, aber ich wollte nicht darüber sprechen, was mich wegzog. Noch weniger wollte ich nur, dass sie wieder anfing, sich gleich wieder Hoffnungen auf Paul zu machen.

„Die Entscheidung war spontan.", sagte ich deshalb knapp und schob meine Hände in die Jackentaschen. „Die Gelegenheit ist gut."

„Der Stall ist richtig klein, oder? Ich habe mal gegoogelt und..."

„Es ist Renesse, Nika. Holland, Strand, Pferde und Schokostreusel. Ich würde da auch hingehen, wenn die dort keine Halle hätten." Das war eine glatte Lüge, aber ich hoffte trotzdem, dass sie sich von dem Umgebungsargument überzeugen ließ.

„Ist bestimmt super.", sagte sie und so irritiert, wie sie mich ansah, war ich mir sicher, dass sie sich nicht sicher war, ob ich einen Scherz gemacht hatte oder nicht. „Irgendwie hätte ich nur nicht erwartet, dass du das machen würdest. Ich meine...." Sie lachte unsicher und beschloss offensichtlich, lieber für sich zu behalten, was sie meinte. Ich war mir sicher, dass das für uns beide besser war.

Genervt, obwohl eigentlich nichts passiert war, dass das hätte rechtfertigen können, hatte ich mich an der Stelle mit einer halbherzigen Umarmung von ihr verabschiedet und mich dann daran gemacht, mich von den Leuten zu verabschieden, die mir wirklich fehlen würden. Simon sparte ich dabei wohlweißlich aus.

Als ich damit fertig war, packte ich zwei große Reisetaschen für Renesse und räumte danach mit Felix Hilfe, der mittags aus der Schule zurückkam, mein Zimmer unten im Haus leer. Viel Arbeit war es nicht, weil ich mich nie so richtig eingerichtet hatte. Wenn ich zurückkommen würde, würde ich eben wieder oben wohnen müssen- das war der Teil des Deals, der mir ein bisschen wehtat. Meine Eltern würden mich finanziell mittragen, bis ich mein Abi in der Tasche hätte, aber wenn ich eben nicht für sie arbeitete, dann würden sie das Zimmer im Haus meinem Nachfolger zur Verfügung stellen. Im ersten Moment hatte mir der Gedanke daran wieder oben zu wohnen ziemlich wenig geschmeckt, aber als ich dann hinterfragt hatte, wie oft ich wohl wirklich in der Wohnung meiner Eltern sein würde, hatte ich mich abgeregt. Ich würde sowieso ständig bei Paul schlafen- wie ja jetzt auch schon. 


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Einen schönen Start in den Dienstag euch :)

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