Den Rest des Frühstücks über sprach niemand über meine Hand in der von Paul. Pia hatte uns einen verstohlenen Blick zugeworfen, den ich nachdem, was ich am Abend zuvor mitangehört hatte, besser einordnen konnte. Sie war stiller danach und sah nachdenklich auf den Löffel in ihrer Kaffeetasse. Ich lächelte sie an und sie erwiderte es halbherzig, bevor sie wieder in den Kaffee schaute. Am liebsten hätte ich Viktor erwürgt. Zumindest hätte ich viel darum gegeben, wenn sie ihn für jemand anderen fallen ließe. Der Gedanke, dass sie gleich nach Hause fahren würde und ihren Frust darüber, dass Paul und ich einen exklusiver Zweierclub gebildet hatten, mit niemandem würde teilen können, machte mir ein schlechtes Gewissen.
Als wir uns mit einem Blick auf die Uhr verabschiedeten, weil Paul und ich die Pferde für unsere Starts fertig machen mussten, wirkte sie fast ein bisschen erleichtert. Pauls Eltern brachten uns zur Tür und während ich noch meinen Schuh zuband und Paul schon hinter Pia durch die Haustür trat, berührte seine Mutter mich kurz am Arm.
„Komm doch mal mit ihm zum Essen, Kim. Wir würden uns so freuen." Sie lächelte erst mich und dann ihren Mann an, der freundlich nickte.
„Wir grillen diesen Sommer bestimmt noch das ein oder andere Mal. Du bist sehr willkommen.", sagte er und ich rang mir einen entspannt-freundlichen Gesichtsausdruck ab, der nicht verraten sollte, wie wenig ich mit dieser Einladung umzugehen wusste.
„Ich komme gern mit, danke.", antwortete ich das wohl einzig Vernünftige und klang dabei sogar beinahe normal. Damit richtete ich mich auf, sprang die drei Stufen der Treppe zur Eingangstür mit einem großen Satz herunter und lief den anderen beiden zum Auto hinterher.
Pia hatte noch ihre Sachen aus meiner Wohnung geholt und sich von Paul verabschiedet, der sich schon seine weiße Reithose angezogen hatte und schon fast auf dem Weg in den Stall war, als ich Pia nach unten brachte. Sie war immer noch ungewöhnlich schweigsam und ich wusste nicht, was ich hätte sagen können, um sie aufzubauen ohne zu verraten, dass ich gelauscht hatte. Lass den Quatsch mit Viktor und komme zurück. Nichts hätte ich ihr lieber gesagt.
„Was machst du noch, wenn du zurück bist?", fragte ich stattdessen, als sie ihre Tasche in den Kofferraum warf.
„Mal sehen.", sagte sie und schlug die Klappe zu. „Vielleicht fahre ich noch bei Niro vorbei und koche mir dann was, mal schauen. Vielleicht fahre ich auch direkt nach Hause." Sie wandte sich mir zu und umarmte mich lange. Ich erwiderte die Umarmung viel fester, als ich es sonst getan hätte. Es tat mir Leid, dass Paul und ich ihr beim Frühstück so unter die Nase gerieben hatten, dass diese Sache jetzt offiziell war und ich wollte so sehr, dass sie glücklich war.
„Rufe nicht Viktor an, okay?", sagte ich dann doch.
Sie ließ mich los und streckte mir scherzhaft die Zunge heraus. „Knutsche deinen Paul und zerbrich dir nicht den Kopf über Vik und mich, okay?"
„Es ist nicht plötzlich mein Paul.", protestierte ich, aber sie ignorierte es und drückte mir einen bewusst feuchten Kuss auf die Wange, was ich schon immer abgrundtief gehasst hatte.
„Viel Erfolg gleich und lasse die Stangen liegen."
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Aufmerksam beobachtete ich, wie die erste Reiterin meiner Prüfung den Parcours überwand. Ich war ihn zuvor abgegangen und hatte mich im ersten Moment erleichtert gefühlt. Er war nicht nur extrem fair gebaut, er kam Milano auch entgegen, der hoffentlich keinen Muskelkater nach dem Sprint vom Vortag hatte. Jetzt jedoch, wo ich am Rand stand und dabei zusah, wie dieses Mädel aus Verein, das ich noch nie gesehen hatte, echte Schwierigkeiten mit dem Parcours bekam, beschlich mich das mittlerweile bekannte, beklemmende Gefühl.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...