Anderthalb Stunden brauchte ich, bis ich ihm einigermaßen klargemacht hatte, was passiert war, nachdem ich ihm die patzige Nachricht geschrieben hatte. Ich erzählte davon, wie ich Pia getroffen hatte und wie Paul mir am gleichen Abend noch erzählt hatte, was er für mich empfand. Anders als im Gespräch mit meiner Mutter ließ ich nichts aus und erzählte Lukas auch ziemlich beschämt, was genau ich Paul bei unserem Streit am Wochenende an den Kopf geknallt hatte. Lukas, der uns zwischendurch noch einen Kaffee bestellt hatte, verzog an der Stelle das Gesicht.
„Warum hast du denn diesen Jenny-Spruch rausgehauen?", fragte er. „Wolltest du sicherstellen, dass er dir wirklich nie wieder näher als Armlänge kommt oder was?"
„Witzig.", murmelte ich und sah Lukas hilfesuchend an. „Was soll ich machen?"
„Was willst du denn?" Er streckte seine Beine aus und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Weißt du das überhaupt?"
„Ich dachte, dabei kannst du mir helfen."
„Woher soll ich wissen, was du von Paul willst?" Er lächelte belustigt.
„Er hat doch mit dir gesprochen, über mich. Und du warst nicht begeistert, hat er gesagt. Warum nicht?"
„Weil Paul sich besäuft, wenn er über Pia nachdenkt. Das finde- oder fand- ich schon bedenklich. Ich war einfach der Meinung, dass er dir gegenüber reinen Tisch machen muss, weswegen ihr nichts von ihr gehört habt. Das hätte doch sonst immer irgendwie zwischen euch gestanden. Abgesehen davon wusste ich ja auch vor unserem Gespräch eben, dass dir eure Freundschaft wichtig ist und ich wollte, dass er versteht, was er da aufs Spiel setzt, wenn er mal eben so leichtfertig was mit dir anfängt." Er machte eine kurze Pause. „Paul ist kein Kind von Traurigkeit, aber schwer in Ordnung. Wenn er das wirklich ernst meint mit dir und du ihn willst, dann bin ich der glücklichste große Bruder."
„Ich glaube schon, dass er das ernst meint.", sagte ich leise.
„Aha, nur noch eine Unbekannte in der Gleichung."
Lukas bezahlte ungeachtet meines Protests für uns beide und wir schlenderten in der Mittagshitze langsam durch die Stadt zu einem nahegelegenen Park, wo wir uns im Schatten auf dem Grün ausstreckten. Lukas schloss seine Augen und ich hing für eine Weile einfach meinen Gedanken nach und sah in den wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Was wollte ich? Ich hatte Paul vor Augen. Paul mit seiner sportlichen Figur, den zerstrubbelten, kurzen dunkelblonden Haaren und seinen blauen Augen, die mitlächelten, wenn er lachte. Die Ruhe, die er ausstrahlen konnte. Das Gefühl, dass ich hatte, wenn ich bei ihm schlief und er mich in seinen Arm nahm. Es fühlte sich nach Zuhause und Geborgenheit an. Dieser Kuss, das Gefühl von seinen Lippen auf meinen, von seinen Händen an meiner Taille. Ich atmete tief durch, als ich von der bloßen Vorstellung Gänsehaut bekam.
Lukas neben mir öffnete seine Augen, schob die Sonnenbrille von seiner Nase und sah mich amüsiert an. „Na? Kommst du weiter?"
„Blödmann.", fauchte ich verlegen, boxte ihn gegen die Schulter und er wandte sich grinsend wieder ab.
„Was spricht dagegen?", fragte er, den Blick ebenso in den blauen Himmel gerichtet wie ich. „Wirklich nur die Angst davor, dass es irgendwann mal zu Ende gehen könnte?"
„Nur ist gut."
„Weil es dann zu Ende ist oder weil es dann keinen besten Freund gibt, der dich tröstet? Ich könnte den Part übernehmen, weißt du.", sagte er und lächelte. „Ich kann mit dir Pizza essen gehen und Wein trinken, wenn es vorbei gehen sollte."
„Aber wenn es vorbeigeht,", sagte ich und merkte, wie viel Angst mir die Vorstellung machte. „dann haben wir für nichts unsere Freundschaft beendet. Für nichts."
„Für nichts?" Lukas seufzte und setzte sich widerwillig auf, um mir ins Gesicht sehen zu können. „So schmerzhaft es ist, das zu sagen: meine Beziehung mit Inga hatte ich auch nicht für nichts. Die Zeit will ich nicht missen, aus vielen Gründen. Ich bereue nicht, dass wir zusammen waren. Rückblickend hätte ich mich gern im letzten Jahr mit ihr anders verhalten, aber alles andere würde ich nicht ändern wollen. Meinst du nicht, dass für nichts eine ziemlich radikale Ansicht ist?"
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Der Flow ist beendet, der Laptop streikt. 💻
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...