Meine gute Laune und meine Vorfreude überdeckten bis nach dem Abendessen bei meinen Eltern sehr gut das andere, das weniger angenehme, das Paul-Vermissen, das Donni-Vermissen und, mehr als ich bis dahin registriert hatte, das Familie-Vermissen. Felix hatte den ganzen Abend über wenig gesprochen, was ich kaum registriert hätte, wenn ich nicht nach dem Essen die Teller in die Küche gebracht hätte, wo meine Mutter Felix umarmte, der das mit viel weniger Protest über sich ergehen ließ als das sonst sein Stil war.
„Alles gut?", hatte ich gefragt und dabei schon die Teller in die Spülmaschine geräumt, während Felix sich eilig aus der Umarmung gewunden hatte.
„Halt die Fresse, Kim.", hatte er barsch erwidert und ich hatte ehrlich irritiert den Kopf gehoben. War das sein Ernst? Felix mochte dreizehn sein und anstrengend sein, aber aggressiv rumpöbeln war eigentlich trotzdem nicht sein Ding.
„Felix.", hatte meine Mutter mahnend gesagt, aber er hatte erst mir, dann ihr einen vernichtenden Blick zugeworfen und war aus der Küche marschiert. Wenige Sekunden später hatte er seine Zimmertür laut hinter sich zugeknallt und meine Mutter hatte unterdrückt geflucht.
„Was ist denn mit dem los?", hatte ich gefragt und mich echt gefragt, ob ich ihn irgendwie geärgert hatte oder ob seine Hormone durchdrehten.
Meine Mutter hatte geseufzt und mir einen Blick zugeworfen, den ich schwer hatte deuten können, bevor sie leise etwas über darüber gemurmelt hatte, dass das halt ein schwieriges Alter sei. „Du warst auch nicht ohne damals.", hatte sie schließlich lauter und mit einem schiefen Grinsen gesagt. „Wollt ihr noch ein Glas Wein oder wollt ihr den Abend lieber zu zweit ausklingen lassen?"
Damit waren natürlich Paul und ich gemeint gewesen und ich hatte mich ziemlich schlecht gefühlt, als ich gesagt hatte, dass wir wirklich noch ein bisschen Zeit für uns haben wollten.
Ich hatte mich danach von meinen Eltern verabschiedet, weil Paul mich am nächsten Morgen nach Renesse fahren würde und genau das hatte mit einem Mal sehr real werden lassen, dass ich wieder meine Koffer packte und ging- wie schon Jahre zuvor. Für einen kurzen Augenblick hatte mich die Angst davor, dass es wieder genauso enden würde, beinahe überrollt, aber ich hatte mich gefangen. Ich war nicht mehr dieselbe, ich war nicht mehr sechzehn, Benthe war nicht Ulrich Hasse und ich würde keinem Thomas begegnen. Die Vorzeichen standen anders.
Es war also wirklich nicht die Angst vor Renesse, die mir immer wieder die Tränen in die Augen trieb, während ich den übrigen Abend wortwörtlich auf Paul verbrachte. Ich hatte mich mehr auf als neben ihm zusammengerollt und während ich mit den Fingerspitzen über seine Arme strich, kraulte er unablässig meinen Nacken. Seine Augen blieben trocken, aber er schaute über meinen Kopf hinweg in die Ferne und atmete noch schwerer als angesichts meines halben Körpergewichts auf seinem Brustkorb normal gewesen wäre. Gemeinsam den letzten gemeinsamen Abend auszuhalten war so schön wie grausam und sehr langsam und deutlich drang dabei zu mir durch, dass es von jetzt an öfter letzte gemeinsame Abende geben würde, öfter diese Abschiede mit einer schwierigen Katerstimmung. Paul durchbrach schließlich die schwere Stille und fischte sein Handy vom Fußboden, öffnete den Kalender und fing an, nach freien Wochenenden zu schauen, an denen wir uns besuchen konnten. Die Aussichten waren mäßig- von Anfang April bis Mitte Mai prangte schon die erste sechswöchige Lücke und ich- emotional aufgeladen und müde-vergrub mein Gesicht in Pauls Pullover und rührte mich demonstrativ nicht mehr.
„Wird schon.", murmelte Paul, aber ich hörte aus seinem Tonfall heraus, dass er etwas ganz anderes dachte als er sagte. Er riss sich zusammen und ich tat es ihm schließlich gleich, rutschte ein bisschen höher und wir planten schließlich sogar detailliert, wo wir und wann treffen sollten und was wir dann unternehmen würden. „Fernbeziehungsüberlebensplan für extreme Fernbeziehungshasser.", sagte Paul schließlich mit einem angestrengten Lächeln, als er die Termine abspeicherte und ich stimmte ihm zu.
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Ach ja, Fernbeziehungen sind was besonders Feines. Beneidet ihr die beiden?
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Auftauchen
Ficção AdolescenteIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...