Part 92

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Während des Frühstücks hielt ich mich an meiner Kaffeetasse fest, während mein Blick immer wieder beunruhigt auf Caras Bauch direkt neben mir wanderte. Cara war unbestreitbar hübsch, ein bisschen still und wahnsinnig schwanger. Sie war gerade mal drei Jahre älter als ich und hatte Samuel vor anderthalb Jahren bei der Arbeit kennengelernt. Die beiden waren noch kein Jahr zusammen gewesen, als sie schwanger geworden war. Sie lächelte, als sie meinen Blick bemerkte.

„Schon krass, oder?", fragte sie und strich mit ihrer Hand über ihren Bauch. Mir wurde fast schwindelig.

„Krass trifft es ganz gut.", sagte ich und versuchte zu lächeln.

Paul, der an meiner anderen Seite saß, schenkte sich Kaffee ein und nahm sich das vierte Brötchen. „Wann ist es nochmal so weit? Ich vergesse das immer."

„Errechneter Termin ist in zwei Wochen.", sagte Samuel trocken. „Kann also jederzeit losgehen, falls du bisher die Spannung beim Frühstück vermisst hast."

„Schmu." Cara legte ihre Hand auf Samuels und sah ihn mahnend an.

Ich stellte meine Kaffeetasse ab, lehnte mich zurück und sah lieber geradeaus in Pias Gesicht als neben mich. Ich wusste, dass ich albern war und dass Paul mich auslachen würde, aber es war zu viel. Nach diesen drei Worten von letzter Nacht, die ich eigentlich nie gehört hatte, nachdem seine Mutter mich wie ein Familienmitglied begrüßt hatte und Cara und Samuel mal eben Paul zum Onkel machten, wollte ich weg. Pia unterhielt sich mit Pauls Vater über ihr Pharmaziestudium und seine Mutter war damit beschäftigt, jedem der einen leeren Teller hatte sofort mit Nachschub zu versorgen.

„Jetzt bleibe doch mal ruhig sitzen, Mama. Du machst mich ganz nervös.", sagte Paul irgendwann eindringlich. „Iss, trinke Kaffee und entspanne dich. Niemand wird am gedeckten Tisch verhungern."

Sie lächelte entschuldigend und wandte sich mir zu. „Kim, wie ist es bei dir mit der Reiterei? Du bist doch für die Ausbildung weggegangen. Wie hat es dir gefallen?"

„Es war gut.", log ich und widerstand dem Drang aufzustehen und zu gehen.

„Du warst in München, richtig?"

Ich nickte, führte meine Tasse zum Mund und tat so, als würde ich einen Schluck trinken.

„Ich habe damals schon zu Paul gesagt, wie mutig ich es von dir fand, so weit wegzugehen- und das mit sechzehn. Wirklich bewundernswert."

„Danke.", sagte ich leise und zwang mich zu einem freundlichen Lächeln. Ich spürte, wie Paul neben mir unruhig wurde.

„Da hast du bestimmt viel gelernt, oder? Ich meine, nicht nur mit den Pferden, es war bestimmt auch herausfordernd, so lange so weit weg von zuhause zu sein, oder? Es war doch bestimmt nicht leicht, die Freunde und die Familie so weit weg zu wissen." Sie lächelte so freundlich und offen, dass ich wusste, dass sie es nicht böse meinte. Mir tat es leid, dass sie nichts anderes versuchte, als mir ein gutes Gefühl zu geben, damit genau das Gegenteil erreichte und ich wieder einen dicken Kloß im Hals spürte. Am liebsten hätte ich geweint, während ich ihren begeisterten Blick erwiderte. So, wie meine Mutter geweint hatte, als ich ihr alles erzählt hatte. Nicht, weil was passiert war so markerschütternd schrecklich gewesen wäre, sondern weil es alle Erwartungen verletzte.

„Es war eine Herausforderung, ja.", sagte ich stattdessen und schaute auf meinen leeren Teller. „Es war..." ...eine furchtbare Zeit. Das hätte ich sagen sollen. Stattdessen sagte ich „spannend". Ich kam mir vor, als würde ich mich selbst verraten, während zumindest Paul angespannt dabei zusah.

„Und hat es dich reiterlich weitergebracht?", hakte sie weiter nach.

„Mama, lass doch gut sein.", schaltete sich Paul ein. „Kim kann über andere Dinge als über Ponys sprechen."

„Das bezweifele ich doch gar nicht.", sagte seine Mutter und warf mir einen ernsthaft getroffenen Blick zu. „Kim, ich finde es einfach wirklich großartig, dass du dich das getraut hast."

„Danke.", sagte ich erneut und konnte nichts mehr dagegen tun. Meine Augen füllten sich mit Tränen, die ich eilig versuchte wegzublinzeln. „Gleich wieder da." 


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Eilig stand ich auf, stieß dabei den Stuhl eine Spur zu hastig nach hinten und eilte aus dem Wohnzimmer in den Flur, wo ich mich auf die unterste Stufe der Treppe setzen wollte, die ins Obergeschoss führte. Paul hatte da oben sein Zimmer gehabt. Ich wusste nicht, ob mich der Wunsch danach allein zu sein antrieb oder einfach Neugier, ich ging auf Zehenspitzen die Treppe hoch und ging durch die geöffnete Tür in Pauls altes Zimmer. Es war völlig unberührt, als würde er noch jeden Abend nach Hause kommen, als wäre er noch sechzehn Jahre alt. Ein schmales Bett stand unter der Dachschräge an der Wand, ein Bücherregal mit Kinder- und Jugendbüchern und ein paar ungeliebten Schullektüren, ein leerer Schreibtisch und ein Kleiderschrank. An der Wand hingen Bilder von ihm Samuel, von ihm und Carlos, von uns dreien und unseren Ponys, eines sogar von ihm und Fia über einem Oxer. Es musste ziemlich neu sein. Vermutlich hatten seine Eltern es dazu gehängt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Paul selbst das getan hatte. Nachdenklich fuhr ich mit der Fingerspitze darüber. Ich wollte die Zeit zurückdrehen, wieder sechszehn sein. Mich anders entscheiden und nicht aus Sturheit nach München gehen, hierbleiben, bei Paul, irgendwie alles mit Pia in Ordnung bringen und einfach ich bleiben. Das Ich, dass niemals daran gedacht hätte, einen Frühstückstisch mit Tränen in den Augen zu verlassen, weil das Thema auf die Reiterei und die Ausbildung kam. Ich wollte das nicht mehr, ich hatte es satt. Dieses beständige Nagen von Angst und Scham, es zeigte Wirkung weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Es ging nicht weg. Ich war im Haus von Pauls Familie, der Familie meines Freundes, der unkompliziertesten und positivsten Menschen die ich kannte, und ich fühlte nur Angst und Scham. Ich hatte nicht gewollt, dass seine Mutter merkte, dass sie sich geirrt hatte und ich vielleicht nicht so stark gewesen war, wie sie es sich vorgestellt hatte, dass es da nichts gab, worauf sie stolz sein konnte. Noch weniger hatte ich gewollt, dass sie herausfand, dass meine Kollegen mich kollektiv gehasst hatten. Was, wenn das berechtigt war? Was, wenn ich wirklich etwas an mir hatte, dass das rechtfertigte? Ich hatte nicht gewollt, dass Pauls Mutter darüber nachdachte. Dabei- und das sickerte nur tröpfchenweise in mein Bewusstsein- hielt dieser Gedanke meine ganze Angst lebendig und trennte mich von mir selbst, von der Kim, die an dieser Wand verewigt war.

„Kim?"

Erschrocken wirbelte ich herum und sah Paul, der mit einem hilflosen Gesichtsausdruck im Türrahmen stand.

„Bist du okay?"

Nickend ging ich ihm entgegen, bis ich direkt vor ihm stand.

„München ist nicht dein Thema, ich weiß..."

„Das konnte sie ja nicht wissen."

„Möchtest du gehen?"

Kurz zögerte ich, schüttelte dann aber den Kopf. „Überhaupt nicht." Meine Finger verhakten sich in seinen und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. „Nimmst du mich so mit runter? Also...so?" Ich deutete mit dem Kopf auf unsere Hände. 


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Schönes Wochenende! Lasst es euch gut gehen!

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