Part 53

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Für einen Moment sah ich ihm nach, riss mich aber los, als ich Simon nach mir rufen hörte.

„Hey, Kim!"

Ich wandte mich ihm zu und ging auf ihn und Nika zu. Felix stand schon bei den beiden.

„Wollt ihr zwei nicht rüberkommen?" Er deutete auf die Handtücher und Felix nickte, bevor ich mir eine Ausrede einfallen lassen konnte.

„Ich hole die Sachen.", rief er und eilte los.

Hilflos nickte ich. „Warum nicht, ja. Was macht ihr eigentlich schon hier?"

„Hitzefrei.", sagte Simon, der mir anzumerken schien, dass mir ihre- oder vielmehr Pauls- Anwesenheit nicht recht war. „Wir haben früher angefangen und die Mittagspause ausfallen lassen. Und du warst die die letzten Tage bei Lukas?"

„Ja, musste auch mal sein."

Als Felix zurückkam und sein Handtuch zielsicher neben Pauls legte, schnappte ich mir meins und legte es neben Simon, möglichst weit weg. Ich wollte mich nicht vor den anderen mit Paul streiten und schon gar nicht vor meinem kleinen Bruder. Während Nika und Simon ins Wasser gingen und Felix sich ihnen nochmal anschloss, zog ich mein Handy aus meiner Tasche. In dem Augenblick, als ich Pauls aufgeschürfte Fingerknöchel gesehen hatte, hatte ich gewusst, dass er nicht vom Pferd gefallen sein konnte. Nicht, dass ich das vorher ernsthaft geglaubt hatte, aber es hätte wenigstens irgendwie sein können. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er an einem normalen Montag wie gestern anfing, sich mit irgendwem zu prügeln. Ob es noch am Sonntag passiert war? Aber mit wem? Mit Thomas? Die beiden kannten sich überhaupt nicht. Aber sonst? Paul schlug sich nicht, mit niemandem. Er konnte fies sticheln, aber er suchte eigentlich nie Streit. Wer hätte ihn so provozieren können, dass er darauf einstieg? Das passte nicht zu ihm.

„Weißt du, was mit Pauls Gesicht passiert ist?" Ich schickte die Nachricht an Pia, mit der er am Sonntag ja immerhin zurückgefahren war, legte mein Handy neben mich und wartete. Nika, Simon und Felix spielten im flachen Wasser mit einem Volleyball herum, der öfter im Wasser landete als er gefangen wurde. Ihr Lachen drang zu mir herüber, während ich angespannt abwechselnd auf mein Handy schielte und das Ufer nach Paul absuchte. Es dauerte keine fünf Minuten, bis eine Antwort von Pia auf meinem Display aufblinkte: „Erzählt er nichts?"

Sie tippte ein paar Mal, stoppte, tippte wieder und ich starrte ungeduldig auf das Handy in meiner Hand. Wenn sie mir jetzt irgendeinen „Das muss er dir selbst erzählen"-Stuss antworten sollte, ich würde...tat sie nicht. Stattdessen rief sie mich an.

„Kim, du hast ja keine Ahnung....", begann sie und ich stand auf und ging, das Handy am Ohr, ein paar Schritte. Ich wollte nicht extra aufstehen müssen, falls die anderen zurückkamen, bevor Pia fertig war.

„Was war los?", fragte ich mit Nachdruck.

„Ich habe einen Fehler gemacht.", sagte sie und stöhnte verzweifelt auf. „Nachdem wir Fia verladen hatten. Paul hat gemerkt, dass du fertig warst und hat mich gefragt, was denn mit dir los sei. Da habe ich ihm erzählt, dass Thomas da sei und dass du wohl irgendwie mit ihm gesprochen hast."

Also doch. Ich ahnte, was sie mir erzählen würde. Als ich nichts sagte, sprach Pia weiter.

„Paul war jedenfalls sofort ziemlich...wütend? Was der Typ denn noch von dir wollen würde, ob ihm nicht reichen würde, was er angerichtet hat. Sowas halt, aber er war einfach nur sauer, er wäre jetzt nicht losmarschiert, um sich...zu schlagen. Der Zufall hat's anders gewollt."

„Bitte?!" Angespannt hielt ich inne und warf einen Blick über meine Schulter zu unseren Handtüchern. Die anderen waren noch immer alle im Wasser.

„Wir sind über den Parkplatz zurückgelaufen, weil wir eigentlich noch was essen wollten vor der Rückfahrt. Jedenfalls lief Thomas dann vor uns her. Ich verspreche dir, ich habe Paul nicht erzählt, dass er das ist, aber Thomas hat telefoniert...ich weiß nicht mit wem, vielleicht mit Kollegen oder Freunden. Jedenfalls müssen die dich gekannt haben. Er hat ihnen zumindest erzählt, dass er dich getroffen hat und wie..." Sie brach ab. „Er ist echt ein Arsch."

„Ach.", fauchte ich ungehalten. „Was hat er erzählt?"

„Das du ihm nicht in die Augen sehen kannst und...dass er dich immer noch in der Hand hat." Ich hörte an ihrer Stimme, wie viel Überwindung es Pia kosten musste, das auszusprechen.

„War das alles?", fragte ich knapp und versuchte, die aufsteigende Wut weg zu atmen.

„Er hat gewettet, dass er immer noch alles mit dir machen kann, was er will." Pia klang so, als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass sie angehört hatte, was er gesagt hatte. „Jedenfalls ist Paul an der Stelle durchgedreht."

„Und hat einfach so angefangen, Thomas zu schlagen oder was?" Wütend biss ich mir auf die Unterlippe. Ich hatte ihn nicht darum gebeten, meinen Rächer zu spielen.

„Neee....", sagte Pia gedehnt. „Er hat ihn angesprochen und ihm gesagt, er solle die Scheiße lassen, dich in Ruhe lassen und nie wieder deinen Namen in den Mund nehmen."

„Und dann?" Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Thomas daraufhin zugeschlagen hätte.

„Dann hat Thomas einen Nerv getroffen."

„Pia.", sagte ich warnend, als sie verstummte.

„Thomas hat gelacht und ihm gesagt, warum ihn das denn was anginge. Ob Paul was von dir wolle und so weiter. Er solle sich besser eine andere suchen- es wurde jedenfalls ziemlich hässlich."

Daran hatte ich keinen Zweifel. „Und?" Es war unnötig, zu fragen, trotzdem wollte ich es hören.

„Die haben sich geschlagen, was sonst? " Pia seufzte tief. „So richtig. Ich habe gedacht, die tun sich richtig weg..."

So, wie Paul aussah, hatten die sich auch richtig wehgetan. Ich verkniff mir den Kommentar und rupfte unruhig mit meinem großen Zeh Grashalme ab. „Und dann?"

„Ich weiß nicht so genau. Ich glaube, Paul hat ein Knie in den Magen gekriegt, zumindest sah es so aus. Dann war gut." 


Nichts war gut. Mir war schlecht, was nicht daran lag, dass ich mir vorstellte, wie es sich anfühlen musste, ein Knie in den Solarplexus gerammt zu bekommen. Ich war sauer auf Paul und die Aktion war mir peinlich.

„Danke, Pia.", sagte ich schroff. „Wir hören voneinander." Damit legte ich auf, ohne ihr weiter zuzuhören. Langsam wandte ich mich wieder zum See um. Felix, Nika und Simon alberten noch immer herum, Paul kam gerade aus dem Wasser. Langsam ging ich zu den Handtüchern herüber und hielt wütend mein Handy hoch, als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt war.



„Ich habe mit Pia gesprochen.", sagte ich und starrte ihn an, während er langsamer und vorsichtiger als sonst nach seinem Handtuch griff.

„Glückwunsch.", sagte er knapp und ohne mich anzusehen.

„Ist das dein scheiß Ernst? Du schlägst dich mit Thomas? Was soll das? Ich habe dir das von ihm und mir nicht erzählt, damit du losgehst und es schlimmer machst."

Schweigend rubbelte Paul seine Haare trocken. Er machte mich wahnsinnig damit.

„Kannst du dazu mal was sagen?!"



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