Part 128

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Pauls Silvesterprogramm sah ausgiebiges Ausschlafen und frische Brötchen mit Kaffee vor, bevor wir Regenjacken anzogen, uns beide eine dicke Mütze aufsetzten und uns bei diesigem Wetter auf den Weg zum Treffpunkt machten, von dem aus die Wattwanderung starten sollte. Die Gruppe bestand aus einigen, teils älteren Pärchen und zwei Familien und während wir uns Gummistiefel und Anglerhosen anzogen, die uns vor dem kalten Wasser der winterlichen Nordsee schützen sollten, hatte eines der Pärchen Paul schon in ein Gespräch darüber verwickelt, dass sie schon zum zehnten Mal den Jahreswechsel auf der Insel feierten. Sie gaben uns noch ein paar Hinweise zu Dingen, die wir unbedingt noch unternehmen sollten, bevor wir die Heimreise anträten und schwärmten von einer alten Gaststube, in der es die angeblich besten Waffeln mit Kirschen auf der Insel geben sollte. Sie quatschten noch mit Paul, als wir die ersten Meter im Watt hinter uns gebracht hatten, aber als wir den ersten Priel erreichten und unser Wattführer uns verkündete, dass Wasser würde an der tiefsten Stelle bestimmt bis zur Hüfte gehen und wir sollten uns sicherheitshalber beieinander einhaken, streckte Paul mir triumphierend grinsend seinen Arm hin und wir staksten als erste dem Wattführer hinterher. Wie er angekündigt hatte, wurde das Wasser ziemlich schnell tief und der schlickige Boden zog ganz schön an den Gummistiefeln.

„Das ist mal ein überdimensionierter Aquatrainer.", lachte Paul und strahlte angesichts dieses Abenteuers.

„Das gibt Muskelkater.", erwiderte ich und schnaufte leise, während ich gegen die leichte Strömung anarbeitete. „Ich glaube, ich muss morgen zur Regeneration in die Sauna." Ich blinzelte ihn kurz an, bevor ich mich wieder auf den Schlick unter meinen Füßen und das Wasser konzentrierte.

Paul seufzte: „Ich glaube, du musst morgen zu Regenerationszwecken mit mir im Bett bleiben." und streckte mir die Zunge raus, als ich versuchte, ihn in die Seite zu boxen.

Nachdem wir den Priel hinter uns gebracht hatten, standen wir so richtig im Watt. Der Strand lag schon ein ganzes Stück hinter uns und während wir stehenblieben und warteten, bis auch der Rest der Gruppe den Priel durchquert hatte, hielt ich für einen Moment inne und atmete die Meerluft ein, hörte dem Wind zu, der an meinen Haaren zog und beobachtete, wie er kleine Wellen auf die großen und kleinen Wasseransammlungen um uns herum zeichnete. Trotz der kalten, feuchten Luft fror ich nicht, dazu war es viel zu anstrengend gewesen, gegen das Wasser anzuarbeiten. Als mein Blick den von Paul kreuzte, bemerkte ich, dass er mich beobachtet hatte- mit genau dem Blick, mit dem er mich damals am See angesehen hatte. Wir waren beide so präsent gewesen in jenem Augenblick. Es war einfach nichts anderes wichtig gewesen, als dieses Ding zwischen ihm und mir. Dieser Moment jetzt, dieser Blick von ihm- ich ließ mich darauf ein, genau wie damals mit ihm in den Moment einzutauchen. Obwohl wir während der gesamten Wanderung nur wenig miteinander sprachen, während wir dem Wattführer fasziniert dabei zusahen, wie er Wattwürmer ausbuddelte und zeigte, wo kleine Krebse lebten, während wir noch durch zwei weitere Priele wateten, von denen einer mir fast bis zum Bauchnabel reichte und viel mehr Strömung hatte als man hätte vermuten können, liefen drei Worte in meinem Kopf in Dauerschleife. Ich hielt es fast nicht aus, sie nicht zu sagen, weil mein Kopf und mein Herz und mein Bauch einstimmig verlangten, dass ich ihm nicht nur einen filmreifen Kuss hier im Watt geben sollte, sondern auch aussprechen sollte, was ich da spürte. Eben weil er das alles hier für mich organisiert hatte und weil er mich so ansah, wie er mich schon damals angesehen hatte. Da war nur dieser kleine, vorsichtige Teil von mir in meinem Hinterkopf, der sich mit einem lauten Räuspern Gehör verschafft und darauf gedrängt hatte, Paul die Initiative ergreifen zu lassen. Er war dran. Deshalb verhakte ich nur meine Finger fest mit seinen und biss mir auf die Lippen, während die drei Worte in meinem Kopf anfingen, wilde Purzelbäume zu schlagen.



Nach der Wattwanderung hatten wir uns erstmal aufgewärmt und ausgeruht- Paul war noch fertiger als ich und auf dem Sofa eingeschlafen. Ich hatte kurz überlegt, ob ich ihn wecken sollte, dann aber doch ohne ihn mit dem Gemüseschnippeln für unser Silvesteressen angefangen und als ich damit fertig war, hatte ich mir dann doch mal mein Handy geschnappt und mich damit im Schlafzimmer aufs Bett gelegt.

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