Part 120

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Ich atmete durch, als Paul die Tür zu seiner Wohnung hinter uns zuzog und die Schritte meiner Familie sich über die Treppe entfernten. Ich war erledigt und fühlte mich, als könnte ich noch im Stehen einschlafen. Gleichzeitig bekam ich das Bild von mir, an der Garagenwand lehnend, nicht aus dem Kopf.

„Es tut mir so leid.", sagte ich, als Paul seine Schlüssel auf dem Tisch ablegte und sich seine Schuhe abstreifte.

„Wofür das denn?", seufzte er und klang dabei genauso geschafft wie ich.

„Der ganze Abend. Meine Großmutter, das vorhin...Der Abend war einfach schlimm." Damit bückte ich mich und zog mir die Stiefel aus.

„Deine Großmutter ist schlimm.", sagte er ohne mich anzusehen, zog sich auf dem Weg ins Bad seinen Pulli über den Kopf und warf ihn achtlos über die Stuhllehne. „Der Rest...war gar nicht so schlimm." Er drehte sich an der Tür kurz zu mir um und warf mir einen Blick zu, den ich schwer deuten konnte. Vielleicht war er einfach müde. „Ich brauche eine Entspannungsdusche." Damit verschwand er im Bad und wenige Augenblicke später lauschte ich dem fließenden Wasser, während ich völlig erledigt mein Kleid gegen ein altes T-Shirt von Paul tauschte. Ich war schon fast eingedöst, als er aus dem Bad kam und mir meine Zahnbürste vors Gesicht hielt.

„Schönheitsschlaf ist erst gleich, Blondi.", nuschelte er, selbst mit der Zahnbürste zwischen den Zähnen und ich ergab mich dem Schicksal und putzte die nächsten Minuten mit geschlossenen Augen im Bett meine Zähne. Alleine der Gedanke daran, dass ich mich noch abschminken musste, war beinahe zu anstrengend. Als ich es schließlich geschafft hatte, als ich meine Zahnbürste weggeräumt und mein Gesicht abgetrocknet hatte, warf ich einen prüfenden Blick in den Spiegel. Ich sah fertig aus. Meine geröteten Augen starrten vielleicht nicht panisch zurück, aber der Abend war nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Es war wie damals bei Lukas- ich mochte nicht, wer mich da ansah. Es war eine abgespannte, nervöse Version von mir, mit der ich keinen Frieden finden wollte. Frustriert ließ ich meinen Kopf sinken und starrte ins Waschbecken. Ich war ratlos- und einfach auf. Das Jahresende war da- und so gut wie ich mich noch nach dem Trainingsturnier gefühlt hatte, es war schon nichts mehr davon übrig.

„Alles gut?" Paul lehnte hinter mir im Türrahmen und ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.

„Keine Ahnung.", antwortete ich wahrheitsgemäß, richtete mich auf und zog mir das Haargummi aus den Haaren, bevor ich mich mit einem matten Lächeln ihm zuwandte. „Das gerade war übel."

Er nickte nachdenklich und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Das gerade..."

„..war scheiße.", murmelte ich und verschränkte ebenfalls meine Arme vor der Brust.

„Jaha...das weiß ich." Er legte den Kopf schief und holte tief Luft, bevor er die nächste Frage stellte. Es war offensichtlich, dass er die Antwort nicht wirklich hören wollte. „Das, was dir auf Turnieren passiert, das ist eigentlich genau wie das, was da gerade passiert ist, oder? Nur nicht so heftig, oder?"

„Ja." Der Knoten im Magen, das Kribbeln im Gesicht, die Übelkeit- unbekannt war mir das Gefühl an der Garage nicht gewesen. Überhaupt nicht. Und vielleicht war es das, was mich jetzt so mutlos fühlen ließ- nach Monaten, in denen ich diesem Gegner gründlich aus dem Weg gegangen war, nachdem ich dachte, ihn vielleicht abgeschüttelt zu haben, tauchte er plötzlich auf- ganz ohne Thomas, ganz ohne Pferd in der Nähe- und ich spürte, dass ich keine Chance hatte, ihn zu vermeiden.

„Dann lasse es."

„Was soll ich lassen?", fragte ich meine Fußspitzen.

„Das Turnierreiten. Wenn der Gedanke daran, dass du keine Alternative dazu hast, eine Panikattacke auslöst, dann lass es sein."

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