Part 6

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Am nächsten Morgen stand ich auf, ehe meine Eltern sich rührten. Es war still im Haus, vereinzelt sah ich Licht unter den Türen der Angestelltenwohnungen brennen, andere schliefen noch. Ich wollte ohne Hektik mit Rasputin arbeiten, ein bisschen Stangenarbeit machen, die Durchlässigkeit verbessern, wie mein Vater mir geraten hatte. Er war am vergangenen Abend nach Hause gekommen, zufrieden mit dem Pferd und den Ergebnissen des Wochenendes. Er hatte sich mit Fanjana gut platziert, was ihn umso mehr freute, da man bei der Fuchsstute nie wusste, wie die Prüfung laufen würde. An manchen Tagen bestach sie durch wundervolle Grundgangarten und absolute Lektionssicherheit, an anderen sorgte sie durch totale Verweigerung für Kopfschütteln. Mein Vater war mit ihr nie in den Kader aufgenommen worden, da man nie vorhersehen konnte, wie sie sich in der Prüfung präsentieren würde. Mit der Zeit hatte er aufgehört, sich darüber zu ärgern, freute sich stattdessen über gute Ritte und feilte an der Ausbildung von Raindrop herum. Ich seufzte. Die Vorstellung, ihm erzählen zu müssen, wie es mit dem Hengst gelaufen war, war nicht besonders angenehm. Er würde sich nicht aufregen, nur den Kopf schütteln und mir sagen, ich hätte nicht herumträumen dürfen. Sicher, er hatte Recht- dennoch wollte ich das nicht hören.
Während ich darüber nachdachte, putzte ich Rasputin, der entspannt döste und mich kaum wahrzunehmen schien.
„Morgen."
„Morgen.", erwiderte ich und nickte Nika zu, die an der Box vorbeiging. „Schon fleißig?"
„Du doch auch." Lächelnd lief sie weiter und verschwand schließlich in der Futterkammer, um bei den Fütterungsvorbereitungen zu helfen.


Ich hob nicht einmal den Kopf, als das Hallentor aufschwang. Völlig vertieft in die Arbeit, ritt ich immer wieder Tempowechsel, Übergänge und ein paar Seitengänge, um Rasputin locker zu kriegen.
„Nimm mal ein bisschen Tempo raus.", hörte ich meinen Vater rufen.
Ich seufzte und tat, was er gesagt hatte.
„Wie war es mit Raindrop?", fragte er und ich sah zu ihm herüber.
Er stand mit dem Hengst in der Halle und verstellte die Steigbügel.
„Mittelmäßig." Ich ließ Rasputin angaloppieren, in der Hoffnung, mein Vater würde denken, ich wäre zu konzentriert, um mit ihm zu reden.
„Klingt ja nicht besonders positiv."
„War im Grunde nicht schlecht, er ist mir nur einmal gegen Ende abgezischt." Rasputin schnaubte und ich ließ ihn fleißiger vorwärtsgehen.
Mein Vater lachte. „Bist du da oben eingeschlafen?"
„So ähnlich." Kopfschüttelnd parierte ich Rasputin durch. „Ich bin ihn galoppiert und habe dann vor lauter Begeisterung einfach nicht mitbekommen, wie er sich langsam davongemacht hat."
Grinsend schüttelte mein Vater den Kopf.
„Tut mir Leid.", brummte ich zerknirscht und zuckte mit den Schultern.
„Schon in Ordnung- ich gehe einfach mal davon aus, Raindrop hat dich schon genug geärgert."
„Allerdings!" Ich starrte den Rappen an, der am langen Zügel durch die Halle schritt und wirkte, als könnte er kein Wässerchen trüben. „Er hat definitiv das Zeug dazu, mir den Spaß am Reiten zu verderben."
Mein Vater lachte. „Nicht so negativ, Kim, du selbst hast gesagt, du wärst begeistert gewesen."
Ich verdrehte nur die Augen und ritt Rasputin trocken.




Der Rest der Woche verging wie im Flug. Es war wahnsinnig, wie schnell die Zeit verging, wenn man ein klar definiertes Ziel vor Augen hatte.
Morgens ritt ich L'oiseau, trainierte bis zum Mittwoch ernsthaft mit ihm und machte den Donnerstag Dressurarbeit. Er lief gut, er war locker und ich sah dem Wochenende ziemlich entspannt entgegen. Ebenso Paul, der sich mit Fia meinem Trainingsrhythmus angepasst hatte. Sorgfältig vermied ich es, ihn auf Lukas und das vergangene Wochenende anzusprechen und er kam auch nicht von alleine darauf zurück. Ob er das Thema sorgfältig mied oder ob er einfach nicht daran dachte, ob vielleicht wirklich nichts Bedeutendes vorgefallen war, wusste ich nicht.
Viel interessanter fand ich jedoch, wie Nika mit Paul umging- im Grunde fragte ich mich nur, wann er kapieren würde, dass sie ihn ununterbrochen anschmachtete. Es war auffällig, dass sie ständig in der gleichen Halle ritt wie er und überall dort auftauchte, wo er sich aufhielt.
Saß er im Aufenthaltsraum und gönnte sich einen Kaffee, schneite sie nahezu jedes Mal herein und tat es ihm gleich.
Ich dachte nicht daran, Paul von meiner Vermutung zu erzählen- vielleicht war das der Unterschied zwischen besten Freunden und besten Freundinnen. Paul hatte mir gegenüber kein Wort darüber verloren, ob er mit irgendwem zusammengewesen war während meiner Abwesenheit. Hätte ich gefragt, hätte er mir vermutlich geantwortet, aber ich tat es nicht.

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