Part 173

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Wir schwiegen beide für eine Weile. Er rang neben mir um Fassung, während ich langsam klarer wurde. Er hatte fremdgeknutscht und mich vor lauter Feigheit glauben lassen, dass immer noch ich das Problem sei, während mein Vater- und damit auch meine Mutter- schon längst Bescheid wussten. Das war...Mir fiel kein Wort dafür ein. Demütigend? Feige? Schwach? Wenn ich daran dachte, wie oft ich mich alleine an diesem Tag seinetwegen furchtbar gefühlt hatte, dann hätte ich ihn am liebsten dort ertränkt, wo alles angefangen hatte. Gleichzeitig zeigte ausgerechnet in diesem Moment Wirkung, dass ich mich in den letzten Wochen sooft gefragt hatte, was ich mir an seiner Stelle von mir wünschen würde.

„Was ist genau passiert?", hörte ich mich fragen und konnte kaum fassen, dass diese Worte aus meinem Mund kamen. Da war echt ein Teil von mir, der darauf hoffte, dass sein Ausrutscher- allein dieses Wort zu denken war absurd und falsch- irgendwie so harmlos sein könne, wie dieser Kuss, den ich in Berlin aufgedrückt bekommen hatte. Schon der Blick, den Paul mir auf die Frage hin zuwarf, belehrte mich eines Besseren. Bitte nicht. Ausgesprochen wäre es nicht deutlicher geworden. „Ich will das wissen, Paul.", sagte ich nachdrücklich, streckte mutig meine Beine aus und lehnte mich demonstrativ zurück, wie um zu zeigen, dass er mich nicht treffen konnte. Also erzählte er, stockend und völlig in sich zusammengesunken, was passiert war. Einer der Teilnehmer hatte ein Pferd von Jennys Eltern geritten. Die hatten das zum Anlass genommen nach Balve zu fahren. Jenny war natürlich mitgefahren. Natürlich, weil Jenny noch nie eine gute Party verpasst hatte. Ich ersparte Paul und mir die Frage danach, ob sie da schon von dem Streit zwischen ihm und mir gewusst habe und sah ihm stattdessen stumm dabei zu, wie er sich durch die Details des Abends quälte : die Party am Samstagabend, auf die er eigentlich nicht hatte gehen wollen, weil ihm nicht nach Feiern gewesen war; wie er dann doch hingegangen war, auf ein Bier; wie er Jenny dann sein Herz ausgeschüttet habe, weil ihm unser Streit in den Knochen gesteckt habe; wie die beiden dann Bekannte getroffen und mit denen getrunken hatten; wie sie auf der Tanzfläche gelandet waren. An der Stelle verstummte Paul und sah mich flehentlich an.

„Und dann?", fragte ich äußerlich ungerührt.

„Dann ist es eskaliert.", murmelte Paul und als mein Blick unpassenderweise an seinen Lippen hängen blieb, drängte sich mir die Erinnerung an das Vereinsturnier auf: er und ich auf der Tanzfläche, bis es eskaliert war. Seine Lippen auf meinen, seine Hände an meinem Rücken, an meiner Hüfte. Mein Kopf ersetzte mich im nächsten Augenblick einfach durch Jenny und ich sah sehr deutlich vor mir, wie er sie geküsst hatte, wie er sie angefasst hatte. Mein Magen zog sich unsanft zusammen und ich schüttelte wie benommen meinen Kopf, als könne ich damit das Bild loswerden.

„Und bei der Eskalation hat mein Vater euch erwischt?" Obwohl es nicht mir, sondern Paul peinlich sein sollte, fühlte ich mich seltsam beschämt. Als ob ich die Schuld an dem trüge, was da passiert war. Mindestens so, als ob ich naiv daran geglaubt hatte, dass das mit Paul eine Zukunft hatte.

Paul schüttelte kaum merklich den Kopf und als er beim Luft holen wieder anfing zu zittern, wusste ich, dass mir der beste Teil der Geschichte noch bevorstand. „Er hat uns vor meinem Hotelzimmer gesehen.", sagte er und verbarg sein Gesicht wieder in seinen Händen. Das Beben seiner Schultern war der einzige Hinweis darauf, dass er wieder angefangen hatte zu weinen. Ich konnte das in dem Moment nicht mehr. Ich war leergeweint. Zu hören, dass Paul mit Jenny schon vor seinem Zimmer gestanden hatte, hatte das letzte bisschen Mitleid aus mir herausgesogen. Vermutlich wären sie nicht davor geblieben, wenn sie nicht gestört worden wären. Hätte ich dann je davon erfahren?

„Das muss ich dir nicht verzeihen.", beschloss ich leise, müde und klopfte den Dreck von meinen Händen, als ich aufstand. Ich taumelte kurz zur Seite, weil mein Kreislauf noch geschockt am Boden hockte. Paul rührte sich nicht und ich legte ohne weiter zu Zögern die Hand an den Griff der Terassentür. „Du kannst deiner Mutter ausrichten, dass ich nicht mehr zum Kaffee vorbeikomme. Sie hatte gefragt." Mehr nachtreten konnte und wollte ich nicht. Stattdessen ging ich einfach. Wie betäubt lief ich an Samuel vorbei zu meinem Fahrrad und war schon dabei es aufzuschließen, als der aus der Haustür geeilt kam.

„Kim, warte, bitte." Er lief die letzten Meter und hob hilflos die Hände. „Es tut ihm leid."

„Ich weiß, Sam.", sagte ich und sah an ihm vorbei zur Haustür. Wahrscheinlich saß Paul immer noch regungslos auf der Terrasse.

„Er war vollkommen zerstört, er hat..."

Er wäre fast mit einer ehemaligen Freundin von mir ins Bett gestiegen. Er hat es nur nicht getan, weil mein Vater ihn peinlicherweise erwischt hat und dann hat er die Nerven auszunutzen, dass ich in Holland sitze und mich frage, ob ich die Beziehung zerstört habe? Er kann mich mal." Mit den Worten stieg ich auf mein Fahrrad und fuhr los. Ich wollte Paul und Sam und diese furchtbare Wohnung hinter mir lassen. Ich wollte diesem Bild davonfahren, dass ich immer noch im Kopf hatte. Und noch mehr wollte ich dem – wenn auch schwachen -Impuls davonfahren, doch nochmal umzudrehen und einfach zu vergessen, was Paul mir gerade erzählt hatte.


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Der quasi zweite Teil des Teils von gestern, damit die beiden nicht tagelang ihr Gespräch unterbrechen müssen.

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