Meine Mutter lehnte entspannt an der Bande, während ich Donni aufwärmte. Aufmerksam beobachtete sie die Arbeit, sagte aber nichts dazu. Stattdessen fragte sie nach dem Wochenende.
„Paul war mit Fia am Samstag ja wirklich wahnsinnig gut.", rief sie mir zu und ich sah sie fragend an.
„Du hast den Ritt doch gar nicht gesehen."
„Hab' ich wohl." Lächelnd schob sie die Hände in die Hosentaschen. „Mir ging es am Samstag nicht so gut und bin deswegen am Mittag im Hotel geblieben. Eure Prüfung habe ich mir übers Internet angesehen."
„Ach so." Ich nickte und galoppierte Donni an. „Ja, war richtig gut, stimmt schon."
„Und Lolo war auch gut. Wenn du die Wendung von vier auf fünf flüssiger geritten wärst, hätte es für euch locker gereicht."
„Hm.", machte ich nur und absolvierte ein paar fliegende Wechsel. Eigentlich hatte ich mich darüber gefreut, dass ausnahmsweise mal niemand sah, wie ich ritt. Eigentlich hatte ich mich darüber gefreut, mir am Ende nicht eine Fehleranalyse gefallen lassen zu müssen. Nicht, dass ich sie nicht verstand oder nicht schätzte, aber einmal, ein einziges Mal hatte ich gehofft, einfach nur mein Ding machen zu können.
Ich visierte ein kleines Kreuz an und Donni zog brav hin, sprang sauber ab und zog nach der Landung sofort weiter- ganz das Streberpony.
Die nächsten Minuten vergingen ohne große Korrekturen. Meine Mutter setzte langsam die Sprünge höher, dachte sich Linien aus, die speziell auf die Durchlässigkeit von Donni abzielten und nickte jedes Mal zufrieden. Gerade die Durchlässigkeit war nicht Donnis Problem- wenn die Stute überhaupt irgendein Problem hatte.
„Das macht sie schon schön.", stellte meine Mutter schließlich anerkennend fest. „Bei ihr merkt man wirklich, dass sie nach einer guten Grundausbildung weiter gut geritten wurde."
Lächelnd strich ich Donni über den Hals- ein solches Lob bekam man nicht täglich von meiner Mutter. Zwar hatte ich Donni nicht ausgebildet, aber immerhin seit vier Jahren unterm Sattel. Meine Eltern hatten sie als Fohlen gekauft, danach in aller Ruhe aufwachsen lassen und mit guten drei Jahren angeritten. Zu Beginn hatte meine Mutter sie geritten, dann verschiedene Bereiter, die sie in Ruhe weitergefördert hatten. Mit neun war sie die ersten S-Springen gegangen und im darauffolgenden Jahr hatte ich angefangen sie mitzureiten und sie am Ende übernommen.
Anfangs war sie noch regelmäßig von meinem Vater korrekturgeritten worden, aber die Abstände waren immer länger geworden und jetzt hatte seit gut zwei Jahren niemand außer mir mehr mit der Stute gearbeitet.
„Was reitest du am Wochenende genau mit ihr?"
„Ich habe sie eine kleine Prüfung am Freitag genannt, wollte sie mit in die Hauptprüfung am Samstag nehmen und schauen, ob ich mich für den Sonntag qualifiziere."
„Und gestern hast du sie schon ordentlich gesprungen?"
„Gestern war sie perfekt, ja."
„Hm...Mache morgen mal wenig mit ihr, ein bisschen Dressur, gönne ihr ein bisschen Ruhe und bau dir am Donnerstag einen niedrigen Parcours auf. Aber strenge sie besser vor dem Wochenende nicht mehr richtig an- wenn du sie an den drei Tagen reiten willst nach ihrer Pause ist das sonst ein bisschen anstrengend. Außerdem ist sie fit, sie muss nicht viel arbeiten."
Gelangweilt starrte ich die Decke über meinem Bett an und seufzte. Gut zwanzig Minuten lag ich hier, den Blick nach oben gerichtet. Was ich anderes tun sollte, fiel mir beim besten Willen nicht ein. Meine kleine Wohnung war zwar fertig eingerichtet, aber eben noch alles andere als mein Zuhause. Es war ungewohnt, so allein zu sein, während ich im Grunde ja zuhause war. Bisher waren immer meine Eltern oder Felix da gewesen und wenn nicht, hatte ich mir eben irgendetwas im Fernsehen angeschaut, irgendeine DVD oder ein altes Video. Wenn mir gar nichts mehr eingefallen war, hatte ich mir eben die Aufzeichnungen alter Turniere angesehen, die Ritte meiner Eltern, meine eigenen...
Wie oft ich mein erstes S-Springen gesehen hatte, wusste ich schon nicht mehr.
Seufzend schwang ich die Beine aus dem Bett.
Sicher, ich hätte auf meinem Laptop einen Film sehen können, aber das wollte ich mir dann doch nicht antun. Ewig auf einen winzigen Bildschirm zu starren bei beschissener Soundqualität- nein danke!
Ich stand auf, zog mir einen warmen Pulli und flauschige Socken an und huschte zwei Türen weiter. Vorsichtig klopfte ich und wartete, bis Paul die Tür öffnete.
„So spät kreuzt du noch auf?" Er zog verwundert die Augenbrauen hoch, trat aber zur Seite und ließ mich herein.
„Mir war langweilig."
Aufmerksam sah ich mich bei ihm um und mir fiel zum ersten Mal auf, wie sehr er es sich hier eingerichtet hatte. Seine Wohnung war nicht größer, kein Stück besser als meine- aber tausendmal gemütlicher. Das Bett hatte er rausgeschmissen, stattdessen stand ein ausziehbares Sofa an der Wand. Meistens war es zum Sofa zusammengeschoben, wenn man bei ihm war, allerdings hatte er scheinbar nicht mehr mit Besuch gerechnet und es zu einem großen Bett ausgezogen. Er hatte einen wahnsinnig bequemen, alten Sessel in der Ecke stehen, in dem man regelrecht versinken konnte. Im Gegensatz zu mir besaß er nicht nur Tischdecken- er benutzte sie sogar. Auf der Fensterband brannte eine Kerze vor sich hin und es roch nach Tee.
„Dir war langweilig?", fragte er ungläubig und ich zuckte mit den Schultern.
„Schon."
„Hast du denn wenigstens schon gegessen?"
„Heute?"
Er verdrehte entnervt die Augen. „Ja, zum Beispiel."
„Heute Morgen schon, ja. Aber mittags war ich beschäftigt und jetzt hatte ich keine Lust mehr, meine Küche einzusauen."
„Du meinst, du hattest keine Lust mehr, sie zu putzen.", schlussfolgerte Paul. „Du kannst ein paar übrig gebliebene Nudeln von mir haben, Soße habe ich auch noch. Das Gemüse ist aber schon weg."
„Du musst mir nichts abgeben."
Wortlos zog er einen Teller aus dem Schrank und schaufelte Nudeln darauf. Offenbar standen seine Reste noch auf dem Herd.
„Vielleicht ist es nicht mehr richtig heiß, aber warm müsste es noch sein." Mit diesen Worten drückte er mir den Teller in die Hand und schob mich bestimmt zum Tisch. „Und jetzt iss, damit ich duschen kann, während du beschäftigt bist."
„Wenn ich dich störe...Ich sah ihn fragend an.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...