Als ich Niro sah, konnte ich nicht anders, als loszulachen. Der Rappe hob kurz den Kopf, als Pia ihn rief, ehe er seine Nase wieder im Gras versenkte. Pia hatte nicht übertrieben, als sie gesagt hätte, er sei rund geworden. Er hatte was von einer schwarzen Kugel auf weiß gestiefelten Beinen.
„Meine Reitbeteiligung ist mit ihm vor ein paar Wochen einen Reiterwettbewerb geritten.", sagte Pia und grinste, als sie sah, wie ungläubig ich das ehemalige FEI-Pony ansah. „Dafür habe ich ihm seine Mähne abgeschnitten. Vorher hätte er bei einer Verfilmung von Bille und Zottel mitspielen können."
Hätte er immer noch-schwarz, vier weiße Beine und eine schmale, gleichmäßige Blesse: Niro war ein echter, momentan etwas schwergewichtiger Mädchentraum. Gemeinsam liefen wir über die Wiese auf den Rappen zu.
„Wie ist es denn gelaufen?", fragte ich neugierig und Pia atmete bedeutungsschwer ein.
„Jaaa.... Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, aber Niro läuft im Training den Eco-Mode und sobald er auf Turnieren vom Anhänger geht, schaltet er auf Sport." Sie zuckte mit den Schultern. „Den Sportmodus kann die Kleine nicht reiten, da haben auch die Ausbinder nicht geholfen."
„Oh je..." Ich schmunzelte, weil ich mir die schwarze Kugel nicht mehr im Sportmodus vorstellen konnte. „Gibst du ihr eine zweite Chance?"
„Würde ich sofort." Wir waren neben Niro stehengeblieben und Pia zog ihm sehr energisch die Nase aus dem Gras, um ihn aufzuhalftern. Niro drängelte ziemlich rüpelig herum, bis Pia ihn energisch rückwärts schickte und er uns schließlich von der Weide folgte, ohne bei jedem zweiten Schritt ein neues Grasbüschel abzurupfen.
„Würdest du?", fragte ich und öffnete das schiefhängende Tor, um Pia und Niro herauszulassen. Aus der Nähe war Niro noch fetter.
„Ich hatte vor ein paar Tagen einen Zulassungsbescheid in der Post.", sagte sie und sah dabei alles andere als glücklich aus.
„Für was?"
„Für Medizin." Sie schaute auf die Spitzen ihrer Turnschuhe. „Da kann man sich nicht so richtig aussuchen, wo man hinmöchte."
„Aber du bist angenommen worden?", fragte ich und konnte es kaum fassen. Ich konnte mir Pia beim besten Willen nicht als Ärztin feststellen. Dazu war sie viel zu menschlich.
„Ja...und ich sollte es echt machen." Sie klang, als wollte sie sich selbst davon überzeugen, dass sie das machen sollte.
„Wo ist der Haken?", fragte ich und versuchte immer noch mir Pia, die in ausgelatschten Turnschuhen, einer wirklich kurz abgeschnittenen alten Jeans und Spaghetti-Top neben mir herlief, den ausgefransten Strick von Niro in der Hand, in einem Kittel vorzustellen.
Sie zögerte kurz. „Ich hatte überlegt, Psychologie oder Medizin in Düsseldorf oder Münster zu machen. Das wäre näher an zuhause."
Zuhause. Mir fiel das Gespräch zwischen ihr und Paul ein, dass ich mitgehört hatte. Er hatte mit ihr darüber gesprochen, wie einsam sie sich in Hamburg fühlte, obwohl ihre Großmutter in der Nähe wohnte. Zuhause- das war in der Nähe von Paul und mir, da, wo Pia immerhin auch aufgewachsen war.
„Aber den Studienplatz für Medizin habe ich halt in Berlin bekommen. Du musst mir jetzt nicht erzählen, dass andere dafür morden würden, das weiß ich." Sie seufzte. „Irgendwie freue ich mich auch, aber andererseits" Sie machte eine kurze Pause. „wäre ich schon gern zurückgekommen, gerade jetzt."
Gerade jetzt, nachdem sich das mit ihr und Paul und mir wieder gefunden hatte. Seit ein paar Wochen hatten wir wieder eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe zu dritt, die sie tatsächlich mit „Pim und Pia" betitelt hatte. Selbstironie hatte Pia schon immer gekonnt. Ein bisschen befangen, weil ich im Kopf hatte, dass ich das Gespräch zwischen ihr und Paul nicht im Kopf haben sollte, fragte ich nach, hörte zu und ließ mir von Pia erzählen, warum sie trotzdem in Berlin Medizin studieren wollte. Währenddessen putzten wir Niro, der seinen Kopf auf dem hölzernen Anbindebalken abstützte und sich nur rührte, wenn er darauf hoffte, einer von uns Leckerlis aus den Hosentaschen klauen zu können.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...