„Ich will nicht, dass du gehst."
Die Worte trafen mich unvermittelt, während ich gerade Daytonas Gamaschen abmachte. Ich hatte Schritte näher kommen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass er es sein würde, dass er stehenbleiben und mit mir reden würde.
Schwerfällig richtete ich mich auf und drehte mich langsam, als könnte ich damit Zeit gewinnen, zu ihm um. Er stand mit zusammengepressten Lippen neben Daytona und hatte seine Arme genauso vor der Brust verschränkt wie noch in der Nacht und so trotzig sein Blick auch war- sein „Ich will nicht, dass du gehst" war so nah an einer Entschuldigung wie er ihr gerade irgendwie kommen konnte.
„Ja...", sagte ich und warf einen Blick die leere Stallgasse herunter. „Ich weiß." Die Schwere der Aufgabe, ihm zu erklären, dass ich am Morgen noch mit Benthe gesprochen und alles fix gemacht hatte, lastete auf meinen Schultern und machte es beinahe unmöglich, ihm in die Augen zu sehen, während gleichzeitig sein Vorwurf wie eine dicke, kühle Backsteinmauer zwischen uns stand.
„Dann bleibe." Er sah zur Seite, als könne er meinen Blick genauso wenig ertragen, wie ich seinen und ich fragte mich, ob er ahnte, dass ich meine Entscheidung schon getroffen hatte. Ohne ihn. Ich schob die Worte in meinem Kopf hin und her, während ich die Gamaschen unnötig genau betrachtete, während ich sie zusammenklettete.
„Ich habe heute Morgen zugesagt." Die Worte dröhnten in meinen Ohren und klebten an meiner Zunge, als sie längst ausgesprochen waren und als ich dann doch meinen Blick hob und Paul ins Gesicht sah, schloss der die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Wann geht es los?", fragte er und gab sich dabei Mühe, gleichgültig zu klingen. Die unterdrückte Wut sprach trotzdem eindeutig aus seiner Stimme und der Art, wie er seine Schultern zurückrollte.
Ich wollte ihm diese Frage jetzt nicht beantworten, nicht so und nicht hier. Ich wollte mich mit ihm hinsetzen, durchatmen und mit ihm darüber reden, was er mir am Vorabend vorgeworfen hatte. Ich wollte darüber reden, dass das nicht stimmte und darüber, dass ich mich selbst zusammenreißen wollte, um meine eigene Eifersucht in den Griff zu bekommen. Ich wollte darüber reden, dass meine Entscheidung keine Entscheidung gegen uns war. Aber so, wie er mich ansah, als er dann doch seinen Blick hob, wusste ich, dass er an einer ganz anderen Stelle der Unterhaltung war als ich und dass das jetzt auch durchdrücken würde. „In zwei Wochen.", sagte ich also widerwillig.
„Spannend, wie schnell man aus seinem Arbeitsvertrag rauskommt, wenn man für seine Eltern arbeitet.", sagte er kühl und lachte tonlos.
„Das spielt doch jetzt echt keine Rolle.", murmelte ich beschämt, weil er die Vorteilskarte spielte, der ich nichts entgegenzusetzen hatte. „Benthe hat dich eingeladen, weißt du. Du bist bei ihr jederzeit willkommen." Er schwieg und ich ließ die Gamaschen neben die Putzbox fallen und ging ihm entgegen, bis ich direkt vor ihm stand und zu ihm hochsah. Unsere Nasenspitzen berührten sich dabei fast. „Komme mich besuchen. Ich kann auch alle paar Wochen kommen. Das kriegen wir doch hin."
„Ich will das aber nicht.", sagte er und ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, als er Luft holte. „Dieser Distanzquatsch...für mich funktioniert das nicht." Ich wollte gerade Widerspruch einlegen, sagen, dass ich im August schon wieder zurück sei, aber er kam mir zuvor. „Auch nicht für ein halbes Jahr."
„Warum nicht? Ein halbes Jahr ist...nichts." Gut, nicht ganz. Aber es war nicht das Ende der Welt.
„Du willst weg. Es ist nicht so, dass du wegmusst. Du willst das- nur für dich. Ich würde nie einfach so weggehen, ohne Grund. Nicht, wenn..." Er unterbrach sich und zog die Schultern hoch, bevor er sehr viel gefasster weitersprach und dabei klang, als würde er Bilanz ziehen. „Dir ist die Zeit in Renesse wichtiger. An deiner Stelle wärst du mir wichtiger. Ungleich viel lieben ist nicht so mein Ding."
„Das hat doch damit nichts zu tun.", erwiderte ich fassungslos. „Nur weil ich die Entscheidung anders treffen würde, heißt das doch nicht...."
Er ließ mich gar nicht erst den Satz beenden, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und ging und ich ihm sprachlos hinterherstarrte.
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Schönes Wochenende :)
So richtig abgeregt hat sich unser Pauli jetzt aber nicht, oder was sagt ihr?
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...