Ich fühlte mich in meiner Jeans und meinem blauen T-Shirt zwischen Mariekes Freundinnen ziemlich underdressed, aber entweder fiel es ihnen nicht auf, oder sie störten sich nicht dran. Wir saßen mit sechs Mädels in einer gemütlichen Bar an einem langen Holztisch und Marieke hatte mich klugerweise in der Mitte vom Tisch platziert, weswegen, ob ich wollte oder nicht- immer irgendjemand mit mir sprach. Mal auf Deutsch, mal auf Englisch und nach dem zweiten Bier auch auf Niederländisch. Die Truppe war laut, bunt und gab mir keine Chance, mich unwohl zu fühlen und ich vergaß darüber meinen angeschlagenen Magen, trank mit ihnen Bier und bekam- vermutlich wegen der unfreiwilligen Diät der letzten Wochen- die Heißhungerattacke meines Lebens. Während ich unter den belustigten Blicken der anderen erst Bitterballen mit Pommes und danach Poffertjes- kleine Minipfannkuchen- in mich hineinschaufelte, checkten die anderen laut und ziemlich offensichtlich, die Männer in der Kneipe ab.
„Was ist mit dir, Kim?", fragte Marieke irgendwann über den Tisch hinweg, als ihr mein Desinteresse auffiel. „Hast du wen?"
Ich piekste den letzten Poffertje mit meiner Gabel auf und steckte ihn mir in den Mund, bevor ich triumphierend nickte. „Jep." Ich war abnormal stolz, fast so, als sei es mein Verdienst, dass Paul eben war wie er war und unsere Freundschaft irgendwie in etwas so viel besseres übergegangen war. Gerade letzteres konnte ich echt nicht mir selbst anrechnen.
„Gucke sie dir an.", kicherte Linda neben mir und deutete auf mein Gesicht. „Das muss ein guter sein."
Ich kam gar nicht dazu, von Paul zu erzählen, weil sie sofort ein Foto sehen wollten und Marieke mir sogar dabei zuvor kam, weil sie einfach die Homepage vom Stall aufrief, sich das Team anzeigen ließ und, kaum, dass sie das Bild von Paul gefunden hatte, mit einem anerkennenden Blick in meine Richtung ihr Handy in die Runde reichte. „Da würde ich auch nicht nein sagen. Hat der noch einen älteren Bruder?"
„Hat er.", erwiderte ich trocken. „Mit einem Baby."
„Mist." Marieke grinste und nippte mit einem versonnen Blick an ihrem Cocktail. „Da bin ich raus."
„Letzte Woche hast du noch was von Männerpause erzählt.", lachte Linda und erzählte mir, dass Mariekes letzte Dates eher Comedy als vielversprechend gewesen waren. Marieke verzog ihr Gesicht und erzählte eine ziemlich wilde Geschichte von einem Typen, der ihr wohl zwei Wochen zuvor in einem sehr ungünstigen Moment von seinem krankhaften Hygienetick erzählt hatte.
„Seitdem bin ich echt geschädigt.", schloss sie und stöhnte verzweifelt. „Aber ich gönne dir deinen Springreiter, Kim." Sie prostete mir zu. „Der ist nicht zu eifersüchtig, oder?"
Naiverweise fragte ich nach dem warum, aber Marieke ließ die Frage unbeantwortet und ich kam von selbst auf die Antwort, als wir danach noch zum Tanzen weiterzogen. Wir feierten ziemlich gut und ich- angetrunken, endlich satt, befreit wie lange nicht und mit dem Gefühl im Bauch, dass die Mädels mich mochten, tanzte noch ausgelassen mit Linda zu den peinlichsten und gleichzeitig größten Hits der 2000er, als der Rest der Mädels weit nach Mitternacht entweder flirtend an der Bar lehnte oder knutschend auf der Tanzfläche stand.
„Es ist so gut, dass du dabei bist, Kim. Sonst bin ich immer irgendwann alleine. Das läuft einfach immer so.", brüllte Linda mir über die Musik hinweg ins Ohr und verdrehte mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen die Augen. Mich störte das herzlich wenig, mir ging es einfach gut. Ich dachte nicht an Donni oder zuhause- und auch nicht an München. Nicht mal unterschwellig. Dieses Gefühl, dass irgendjemand dann doch bestimmt darauf lauerte, dass ich irgendetwas Dummes oder Peinliches machte- es war einfach nicht da. Linda und ich, beide nicht darauf aus, irgendwen zu beeindrucken, tanzten einfach nur, sangen laut mit und spackten ziemlich verrückt auf viel zu alte Musik ab, ernteten dabei mehr als einen irritierten Blick und feuerten aus der Ferne- und viel zu offensichtlich- Marieke an, die irgendeinem großen, dunkelhaarigen Typen mit Tribal-Tattoo am Oberarm schöne Augen machte. Ich fragte mich gerade, ob der ernsthaft in ihr Beuteschema passte, als sie sich zu uns umdrehte und mit einem entnervten bis angewiderten Gesichtsausdruck zu uns kam.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...