Paul summte, als er sein Schlüsselbund aus der Hosentasche zog und nach dem Haustürschlüssel suchte. Pia stand direkt hinter ihm, die langen Haare fielen ihr locker über den Rücken und ich roch mein Shampoo, mit dem sie sich die Haare gewaschen hatte. Die Geranien neben der Tür dufteten und es roch schon von draußen nach frischen Brötchen. Nervös trat ich von einem Bein aufs andere und hielt inne, als ich das leise Klicken hörte, mit dem die Tür aufsprang. Wie von selbst trugen trugen meine Beine ich die Treppe hoch und in den Hausflur.
„Paul!", hörte ich jemanden begeistert ausrufen und sah aus dem Augenwinkel, wie Pauls Mutter aus der Küche gestürmt kam, um ihren Sohn zu begrüßen. „Paul- alles Gute!" Sie zog ihn in eine Umarmung und ließ- widerwillig- ihre herzliche Begrüßung mitsamt Küsschen über sich ergehen.
„Danke, Mama, reicht, danke." Er wand sich lächelnd aus ihrem Griff. „Wie versprochen habe ich Pia und Kim im Gepäck." Er machte eine Kopfbewegung in unsere Richtung und seine Mutter streckte strahlend Pia die Hand entgegen.
„Es freut mich so sehr, dass du hier bist, Pia.", sagte sie und strahlte Pia glücklich aus ihren blauen Augen heraus an.
„Ich freue mich auch.", erwiderte Pia höflich und trat zur Seite, um Platz für mich zu machen.
„Kim!" Pauls Mutter machte einen großen Schritt auf mich zu und zog mich in eine ebenso innige Umarmung wie ihren Sohn zuvor. Ich schnappte überrumpelt nach Luft. Ich kannte Pauls Mutter von früher, ich mochte sie und ich feierte ihren Kuchen, aber unsere letzte Begegnung lag Jahre zurück. Ihre schulterlangen blonden Haare rochen nach Zucker und Mehl. Die Umarmung ließ mich einen irritierten Blick über ihre Schulter Richtung Paul werfen, der mir einen beruhigenden Blick zuwarf. Ich war mir mit einem Mal ziemlich sicher, dass zumindest seine Mutter nicht so ahnungslos war, wie er mir vor ein paar Tagen noch hatte weißmachen wollen. „Das man dich mal wieder zu Gesicht bekommt, wurde aber allerhöchste Zeit."
„Ja, stimmt..." Meine Stimme klang ungewöhnlich dünn und Pia verdrehte hinter dem Rücken von Pauls Mutter die Augen. Reiße dich zusammen, Kim.
„Ich brauche hier deine Hilfe, Mama! Komm her und höre auf Paul zu zerdrücken!", hörte ich es aus der Küche schallen und atmete tief durch. Ich hätte nicht gedacht, dass Samuel mir mal das Leben retten würde. Pauls Mutter ließ mit einem verklärten Lächeln von mir ab und ging in die Küche. Pia, Paul und ich folgten.
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Samuel, Pauls großer Bruder, stand in der Küche und versuchte dem Kuchen irgendein Topping zu verpassen. Bisher hatte er nur einen großen, unförmigen Klecks auf die Mitte gematscht.
„Glückwunsch, Kleiner!", sagte er, drückte seiner Mutter kommentarlos die Schüssel und den Teigschaber in die Hand und umarmte seinen Bruder. Samuel war eigentlich wie Paul, nur mehr und das in jeder Beziehung. Er war fast zehn Zentimeter größer, er war fast zehn Zentimeter breiter, er grinste noch lausbubenhafter, lachte lauter und hatte schon zu Pauls und meinen Schulzeiten schneller seine Freundinnen gewechselt als Paul seine Reithandschuhe- und Paul zerschliss die seit jeher in rekordverdächtigem Tempo. Er hatte- anders als Paul- Abi gemacht, danach irgendwas mit IT an der Fachhochschule studiert und spielte in der Landesliga Handball. Kurzum, es war schwer ihn zu ertragen und unmöglich ihn nicht wenigstens ein bisschen zu mögen.
„Moin, Pia.", sagte er und nickte ihr zu. „Lange nicht gesehen, Kim."
„Sam, du hast meinen Kuchen ruiniert.", sagte Paul ernst und nahm mir damit eine Antwort ab. Er guckte beunruhigt seiner Mutter dabei zu, wie sie versuchte, das Topping zu retten.
„Ich bin kein Konditor, Mann. Ich wurde dazu abgestellt auf diesen Kuchen aufzupassen, dabei bin ich unqualifiziert."
„Und wo ist Paps?"
„Der vertritt sich mit Balu die Beine."
„Balu lebt noch?" Pia riss überrascht die Augen auf. „Der war doch vor Jahren schon drauf und dran abzu..." Sie brach ab. Balu war der Familienhund gewesen. Fett, zufrieden, faul, blind, sehr alt und abgöttisch geliebt.
„Nein.", sagte Samuel bedauernd und leckte sich etwas von der Zuckermasse vom Finger. „Aber Cara und ich haben uns einen Hund zugelegt und sie wollte ihn unbedingt Balu nennen."
„Cara?", fragten Pia und ich wie aus einem Mund.
„Seine Freundin.", sagte Paul und vermied es, mich anzusehen.
„Die Beste." Samuel grinste zufrieden.
„Und ihr habt einen Hund zusammen?", fragte ich und versuchte, nicht zu ungläubig zu klingen. Pia neben mir guckte nicht minder irritiert.
„Wir haben nicht nur einen Hund zusammen.", sagte er und warf Paul einen amüsierten Blick zu. „Das hättest du ruhig erzählen können, Paul, ist doch kein Geheimnis mehr."
„Never!", platzte es aus Pia heraus, bevor Paul antworten konnte. „Du wirst Vater? Jetzt schon?" Sie sah völlig entgeistert aus.
Pauls Mutter lachte, während sie versuchte, den Kuchen zu retten. „So habe ich auch geguckt, Pia."
„Du bist doch gar nicht so alt.", sagte Pia und sah Samuel an, als hoffte sie, er würde gleich „April, April" rufen.
Mir hatte es die Sprache verschlagen.
„War auch nicht geplant.", sagte er und lief mit einem Seitenblick auf seine Mutter ziemlich rot an. Sie drohte im gespielt mit dem Teigschaber. Es war offensichtlich, dass das Thema zur Genüge diskutiert worden und friedlich abgehakt worden war.
„Ist Cara hier?", fragte Paul und warf einen Tisch ins Wohnzimmer, wo der Tisch schon gedeckt war.
„Die läuft mit Papa und Balu. Also eigentlich laufen Papa und der Hund und sie watschelt." Er lachte übermütig.
„Samuel!" Seine Mutter warf ihm einen warnenden Blick zu. „Bevor du dich um Kopf und Kragen redest, hole lieber die Stühle aus dem Arbeitszimmer."
Mit einem Augenzwinkern drückte Samuel sich aus der überfüllten Küche an mir vorbei, rempelte mich dabei fast um und wenig später hörte ich seine lauten Schritte auf der Treppe. Pia sah immer noch aus, als hätte der Blitz eingeschlagen.
„Das hättest du mal erwähnen können.", sagte sie und sah Paul kopfschüttelnd an. „Das sind Neuigkeiten, die man sich erzählt." Das fand ich allerdings auch. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Samuel eine Freundin hatte, geschweige denn eine schwangere Freundin.
„Ich habe nicht dran gedacht.", sagte er schulterzuckend. „Kann man dir noch helfen, Mama?"
Sie winkte ab. „Macht es euch gemütlich, es fehlen nur noch der Kuchen, dein Vater und Cara und dann kann es losgehen."
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Hürdenlauf? ;)
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...