Den Vormittag verbrachte ich damit, abwechselnd mit Lolo zu laufen und langsam die Ausrüstung zum Transporter zu schleppen. Sinnvollere Aufgaben gab es ohnehin nicht mehr für mich und ich wollte mir am Ende nicht noch nachsagen lassen, ich sei zu faul, um den Transporter zu packen. Außerdem wollte ich nach Pauls Prüfung so schnell wie möglich Fia und die anderen verladen und mich auf den Heimweg machen. Ich wollte einfach nur heim. Als die Hauptprüfung anfing, setzte ich mich mit Pia auf die Tribüne. Nachdem, was in den letzten Tagen gewesen war, wäre ich Paul auf dem Abreiteplatz wohl nur im Weg gewesen. Als ich ihn kurz im Stall gesehen hatte, hatte er ziemlich nervös gewirkt. Fokussiert bis in die Haarspitzen, in Gedanken wahrscheinlich schon im Parcours oder zumindest bei Fia. So sehr, wie ich ihm eigentlich hatte Glück wünschen wollen, ich hatte es mir verkniffen. Ich hatte ihn nicht aus seiner Konzentration reißen wollen.
„Das ist schon eine ganz schöne Aufgabe für ein junges Pferd wie Fia.", stellte Pia fest, nachdem der erste Reiter mit drei Springfehlern die Bahn verließ und ich gab ihr Recht. Sowohl für Fia als auch für Lolo- wenn ich ihn denn geritten wäre- war das mit Sicherheit der anspruchsvollste Parcours, den die beiden bisher gegangen waren. „Hoffentlich ist die noch frisch genug nach den letzten beiden Tagen."
„Soll wohl."
Ziemlich wortkarg und gespannt verfolgten wir die nächsten Reiter und ich musste zugeben, dass meine Hoffnung, Paul könnte es ins Stechen schaffen, mit jedem Paar mehr schwand. Es waren nicht nur die jungen Reiter oder Pferde, bei denen dann doch immer eine Distanz nicht passte oder am Ende das Glück fehlte- es erging auch den namenhafteren Paaren nicht besser.
Weder Pia und ich sagten ein Wort, als er dran war. Ich sah nur, wie er mit meiner Mutter zum Einritt kam und ihr zunickte, als sie etwas zu ihm sagte. Sie lächelte, aber er sah selbst auf die Distanz ein bisschen blass aus. Fia hingegen spitzte die Ohren und kam so energisch hereingetrabt, als hätte sie sich höchstpersönlich dazu entschlossen, heute diese Prüfung zu gehen, von Nervosität keine Spur. Als Paul grüßte und angaloppierte, ging sie fast übermotiviert los und Pia schüttelte lachend den Kopf.
„Die ist echt ein Knaller." Damit sollte sie Recht behalten. Fia war so aufmerksam bei Paul, so sicher an den Hilfen, dass die beiden den schweren Kurs tatsächlich leicht aussehen lassen. Paul, der schon immer ein beneidenswert gutes Auge für Distanzen gehabt hatte, ritt sie so passend vor die Sprünge und sie sprang so vorsichtig, dass Pia schon begeistert losjubelte, als Fia gerade zum Schlusssprung ansetzte- null. Ungläubig sahen Pia, die übers ganze Gesicht strahle, und ich uns an.
„Guck, wie der sich freut.", rief sie nur und deutete auf Paul, der beim Rausreiten vor Freude Fia um den Hals fiel.
„Ich seh's." , sagte ich und es versetzte mir einen ziemlich Stich. Nicht, dass er im Stechen war- überhaupt nicht. Er hatte es mehr verdient als jeder, den ich kannte. Mir versetzte es einen Stich, dass ich hier oben saß und nicht unten am Einritt stand. Oder am Abreiteplatz auf ihn und Fia wartete. Weil es ihm die Stimmung verderben würde, wenn ich ihm gratulieren würde.
Pia schien meine Gedanken erraten zu haben, denn sie blieb sitzen und schlug nicht vor, zu ihm zu gehen. Stattdessen zückte sie breit grinsend ihr Handy und ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihm gerade Glückwünsche schickte.
„Geh ruhig runter.", sagte ich und versuchte ein gelassenes Lächeln. „Ich bin da zwar gerade nicht so angesagt, aber lasse dich davon nicht aufhalten."
„Wirklich?"
„Ja doch." Ich seufzte und zog meine Knie an, um sie durchzulassen. „Sage ihm, dass er super war und Fia ein Kracher ist- dass ist sie nämlich."
Einen kurzen Augenblick zögerte Pia, dann sprang sie aber doch auf. „Bin gleich wieder da."
Ich wollte es mir gerade wieder gemütlich machen, als mein Blick noch einmal zum Einritt wanderte. Paul war mit Fia schon auf dem Weg zum Abreiteplatz, aber meine Mutter stand noch immer an der Stelle, von der aus sie Pauls Ritt verfolgt hatte. Sie unterhielt sich mit einem großen, ziemlich kräftigen Mann, Mitte 50, dessen dunkles Haar langsam grau wurde. Mein Herz setzte aus, als ich ihn erkannte und mein Fuß unsanft von der Lehne abrutschte, auf der ich ihn gerade erst wieder hatte platzieren wollen. Fuck.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...