Part 138

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Den ganzen folgenden Tag hatte ich mit mir gerungen, ob ich wirklich mitfahren sollte, hatte Paul mit der Überlegung in den Ohren gelegen, der auch keine Hilfe bei der Entscheidungsfindung gewesen war, und dann am Abend schließlich doch noch entschieden, meinen Vater zu begleiten. Er freute sich und rief Benthe an, die sich- so behauptete er wenigstens- sich auch darauf freute, mich mal wieder zu sehen. Ich wusste nicht recht, ob ich mich wirklich freute. Ich hatte, einfach um wenigstens einen Programmpunkt pro Tag zu haben, zugestimmt eine ausgefallene Teilnehmerin zu ersetzen und mit einem von Benthes Pferden den Lehrgang mitzureiten. Die letzten Monate über hatte ich so gut wie gar nicht gemeinsam mit meinem Vater trainiert und obwohl wir beide früher regelmäßig frustriert darüber gewesen waren, dass an mir einfach keine gute Dressurreiterin verloren gegangen war, hatte mich sein Blick für die kleinen Fehler oft weitergebracht. Ich arbeitete eigentlich nicht ungern mit ihm- wenn er sich nicht in seinen Perfektionismus hineinsteigerte. So kam es, dass ich am Freitagmorgen- es war gerade sechs und noch stockdunkel- neben meiner Reisetasche auch meine Reitstiefel in den Kofferraum warf, meine Schuhe nach dem Einsteigen augenblicklich auszog, ein dickes Kissen zwischen mein Gesicht und die Seitenscheibe brachte und schon wieder eingeschlafen war, als mein Vater auf die Autobahn auffuhr.

Ich wachte erst auf, als wir an Rotterdam vorbeifuhren. Es war mittlerweile hell und als ich müde blinzelte, meinen Kopf hob, das Kissen in meinen Schoß fiel und ich einen verschlafenen Blick auf die Schilder warf, deutete mein Vater nur auf einen der Thermobecher zwischen uns.

„Zeit für Frühstück?", fragte er und so verlockend wie der Kaffee auch duftete- ich mochte ihn wirklich nicht auf meinen angegriffenen Magen schütten.

„Brauche nicht.", murmelte ich und streckte mich so gut es ging.

„Es ist keinen Kaffee.", erwiderte mein Vater schmunzelnd. „Zumindest nicht für dich. Deine Mutter hat dir Tee gemacht."

„Mama hat mir Tee gemacht? Für die Fahrt?" Ungläubig schielte ich zu dem so unverdächtig aussehenden Becher herüber und griff dann doch danach. Misstrauisch schraubte ich ihn auf, schnupperte und erkannte sofort Hagebuttentee. Nicht gerade mein Favorit, aber es war immerhin heißes Wasser mit Geschmack an einem kalten, diesigen Morgen im Auto. Es hätte schlimmer sein können. Ich nippte am Tee, warf einen Blick aufs Navi und sah, dass wir noch eine knappe Stunde vor uns hatten. „Wann ist Benthes Mann eigentlich gestorben?", fragte ich, während ich in den Becher atmete und ein kleines Dampfwölkchen aufstieg.

Mein Vater seufzte. „Vor ein paar Monaten. Jan hatte schon seit vielen Jahren immer wieder Krebs, hat ihn immer wieder zeitweise besiegt und..." Er machte eine kurze Pause. „Er ist in den letzten Jahren schon keine Turniere mehr geritten, weil er einfach immer wieder krank wurde. Deswegen hat man die beiden auch in Deutschland kaum noch gesehen. Und seit Anfang des letzten Jahres war er eigentlich durchgehend so schwach und anfällig, dass die beiden nur noch zuhause waren." Er atmete tief durch, warf einen Blick in den Rückspiegel und wechselte auf die linke Spur, um eine ganze LKW-Kolone zu überholen.

„Habt ihr die beiden noch besucht?", fragte ich, weil ich wirklich nicht wusste, wie eng das Verhältnis zwischen Benthe und Jan und meinen Eltern zuletzt gewesen war.

„Wir haben das ehrlich gesagt immer ein bisschen vor uns hergeschoben.", sagte er leise und man sah, wie leid ihm das tat. „Wir hätten mal kommen müssen. Sie haben uns mehr als einmal eingeladen."

„...aber keine Zeit?"

„Ja...", sagte mein Vater und zog die Schultern hoch. „Oder besser: keine Zeit genommen. Jetzt ist einer unserer Freunde tot." Er wechselte zurück auf die rechte Spur und tat so, als nähme die Verkehrsbeobachtung in völlig in Anspruch. Ich sah, wie er schwer schluckte.

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