Daytona, die junge Fuchsstute, die ich seit Jahresbeginn ritt, schnaubte ab und streckte sich, als ich zum Schritt durchparierte und die Zügel länger werden ließ. Sie hätte mir so viel Spaß machen können, eben weil sie noch so grün war, weil sie mit einem kaum zu bremsenden Eifer versuchte es mir recht zu machen und weil sie dabei so hübsch war, dass ich schon fast bereit gewesen wäre darüber hinwegzusehen, dass ich da ein lupenreines Dressurpferd zum Reiten hingestellt bekommen hatte. Sie hatte so viel Go und so viel Bewegung, dass ich mich fragte, ob mein Vater, der, wenn wir gemeinsam in der Halle waren, auffallend oft mit seinem Blick an der Stute hängen blieb, insgeheim mit dem Gedanken spielte, Daytona für sich selbst zu behalten. Und trotzdem. Ich stöhnte leise auf, als mein Magen mich mit einem fiesen, in den Rücken ausstrahlenden Stich daran erinnerte, dass mein Jahr so anders angefangen hatte, als ich mir das vorgestellt hatte. So richtig kam bei mir keine Freude auf. Weder bei ihr, noch bei dem übrigen grünen Gemüse.
„Wie läuft es mit Barbie?", hörte ich Paul vom Hallentor aus rufen und wandte ihm meinen Kopf zu.
„Sie strebt."
„Dann hoffe ich mal, dass dein Dicki sich davon eine Scheibe abschneidet." Er kletterte vom Hocker am Tor auf Lolos Rücken und ich brauchte einen Moment, bis das Bild von Paul und Lolo in meinem Kopf wirklich stimmig aussah. Der Wallach gähnte und Paul zog sich fürs Abreiten die Abschwitzdecke über seine Beine, klemmte sie unter den Knien fest und zog seine Jacke bis oben hin zu. „Meine Motivation reicht heute nicht für uns zwei.", murmelte er.
„Du hast gleich Unterricht, oder?", fragte ich mit einem Blick auf meine Mutter, die in ihrer Skijacke, einer Abschwitzdecke und ihrem Thermobecher Position auf der Tribüne bezog.
„Sie meinte, die Schonfrist für Lolo und mich sei dann doch mal vorbei." Paul zuckte mit den Schultern. „Wird schon. Du hast den ja gut geritten."
„Ach, habe ich das?", sagte ich und wusste nicht, ob ich mich über das Kompliment freuen oder mich doch eher darüber ärgern sollte, dass Paul meinte, meine Ausbildung von Lolo bewerten zu müssen.
„Der ist schnell auf den Beinen, sicher an den Hilfen und richtig vorsichtig." Paul lächelte mir zu, wurde aber ernst, als er meinen ausdruckslosen Gesichtsausdruck bemerkte. „Das war echte Anerkennung, du."
„Danke." Ich rang mich zu einem Lächeln durch, parierte Daytona durch und rutschte aus ihrem Sattel. „Ich gucke mir gleich mal an, wie schnell du meine Arbeit kaputtkriegst."
„Nicht mehr in diesem Leben, Blondie."
Als ich Daytona abgesattelt und eingedeckt und meinen Kram in der Sattelkammer verstaut hatte, machte ich mich wie versprochen auf den Weg zur Halle, beanspruchte den Platz und die Decken meiner Mutter, die mittlerweile in der Halle stand, für mich und zog mir meine Mütze so tief ins Gesicht, dass ich kaum noch etwas sehen konnte. Normalerweise hätte ich mir einen Kaffee geholt, aber bei dem bloßen Gedanken brannte mein Magen wie Feuer. Fröstelnd schob ich meine Hände unter die Fleecedecke und beobachtete, wie Paul und Lolo sich anstellten. Es war erstaunlich, wie mir jetzt, wo ich das Pferd unter Paul sah, die Qualität des Wallachs nochmal ganz anders bewusst wurde. Klar, ich hatte immer gewusst, dass Lolo vorsichtig und rittig war und dabei nicht nur Springvermögen, sondern auch einen tollen Bewegungsablauf hatte, aber das alles von unten zu beobachten, als Außenstehender, machte es umso sichtbarer. Er sprang toll- und Paul, dessen Jacke mittlerweile an einem der Hindernisständer hing, hatte ihn in den letzten Wochen gut genug kennengelernt, um es leicht aussehen zu lassen. Noch so eine Sache, die mich hätte freuen müssen und dennoch unvermutet bitter schmeckte. Ich seufzte und folgte Paul mit meinem Blick, der so konzentriert schien, dass ich mir sicher war, dass er mich nicht einmal bemerkte. Er hatte die Ärmel seines dunklen Kapuzenpullis hochgekrempelt und folgte mit dem Blick dem Finger meiner Mutter, als sie ihm die neue Linie erklärte. Ohne es sehen zu können wusste ich, wie die blonden Härchen auf seinen Unterarmen aussahen, wusste um das kleine Muttermal an der Innenseite seines Handgelenks und wusste, wie sich die Finger, mit denen er gerade die Zügel hielt, anfühlten, wenn sie mit meinen verschränkt waren. Ich gönnte ihm Lolo- so sehr. Wenn die Pferde, die er gerade ritt, alle gesund blieben, dann könnten die nächsten Jahre für ihn eine ziemlich wilde, ziemlich erfolgreiche Fahrt werden und ich hoffte umso mehr, dass ich die richtige Wahl für mich getroffen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass ich- sollte ich anfangen mit meiner Entscheidung zu hadern- Paul in der nächsten Zeit besser nicht auf dem Pferd sehen sollte.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...