Part 44

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„Aber?"

„Aber..." Er steckte sich ein Stück Pizza in den Mund und kaute langsam, was ihm Zeit zum Nachdenken verschaffte. „Ich war halt acht Jahre mit Inga zusammen. Es gibt ein paar gemeinsame Erinnerungen und Erlebnisse, die uns ziemlich verbunden haben."

Ich sah ihn nur auffordernd an, während ich an meinem Wein nippte.

Er lachte und fuhr sich plötzlich verlegen mit der Hand durch die Haare. „Erstes Mal verliebt, erste Beziehung, erste gemeinsame Wohnung. Wir hatten gemeinsam Nervenzusammenbrüche beim Lernen, haben Semesterabschlussparties gefeiert und sind danach in den Semesterferien ans Meer gefahren. Wir hatten einfach mal acht gemeinsame Jahre. Dann kommt Marie und verlangt, dass ich dieses ganze Programm mal eben so nach ein paar Monaten mit ihr durchziehe. Und ich verstehe,", er hob abwehrend die Hände, als ich ihn unterbrechen wollte. „Ich verstehe wirklich, warum sie das wollte, aber ich habe ihr von Anfang an gesagt, dass sie mal auf die Bremse treten soll. Ich hätte wirklich viel darum gegeben, wenn wir uns ein paar Monate später kennengelernt hätten."

„Meinst du echt, dass das was geändert hätte?", fragte ich. Für mich klang es immer noch sah, als sei für ihn seine Beziehung mit Inga alles andere als vorbei. Ganz abgesehen davon, dass mir nach wie vor nicht so recht klar war, was ihn an Marie interessiert hatte.

„Ich mochte Marie, Kim. Ich wollte wirklich, dass das funktioniert. Das Timing war halt mies." Er seufzte leise und schüttelte langsam den Kopf. „So oder so- das Thema ist jetzt auch gelaufen." Er trank einen großen Schluck Wein und ich sah ihm an, dass ihm die Geschichte näher ging, als er zeigen wollte. „Ich finde, jetzt bist du dran mit deiner längeren Story.", sagte er, als ich ratlos schwieg. Nicht minder bedächtig als er aß ich erst mein Pizzastück auf, ehe ich mich zurücklehnte und anfing, ihm von München zu erzählen. Eigentlich hatte ich, als ich mich auf den Weg zu ihm gemacht hatte, gar nicht vorgehabt, ihm explizit davon zu erzählen. Ich hatte ihn nach Paul fragen wollen, danach, was die beiden wirklich besprochen hatten. Vielleicht hatte ich mir auch erhofft, dass er irgendeinen Rat hatte, irgendeine Idee. Doch je länger ich darüber nachgedacht hatte, desto deutlicher war mir geworden, dass er nicht verstehen konnte, weswegen Pauls Freundschaft mir so wichtig war, wenn er nichts über Thomas oder München allgemein wusste. Ich gab ihm eine Kurzfassung, aber er ließ mich nicht abkürzen, als es um Thomas ging.

„Er hat was?", fragte er ungläubig und sichtlich angewidert, als ich ihm erzählte, wie Thomas sich nach der Trennung verhalten hatte. Schon zuvor hatte sich sein Gesichtsausdruck zunehmend verdunkelt. Als ich versuchte, darüber hinwegzugehen, lehnte Lukas sich mit erhobenem Zeigefinger nach vorne. „Halt, halt, halt. Sein Nachname."

„Vergiss es." Ich lachte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich will ein Gesicht zu dem Typen."

„Du willst seine Adresse.", spottete ich, war aber nur halb so locker, wie ich tat.

„Ich bin kein Schläger.", gab er kopfschüttelnd zurück.

Seufzend zog ich mein Handy aus der Tasche und durchsuchte meine Fotos. „Bitte.", sagte ich irgendwann, als ich fündig wurde. Thomas und ich Arm in Arm, nachdem wir gemeinsam im Sommer am See schwimmen gewesen waren. Es war das erste gemeinsame Bild, das es von Thomas und mir überhaupt gab. Widerwillig gab ich Lukas das Handy.

„Schön.", sagte er zynisch und löschte das Bild, bevor ich irgendwas dagegen tun konnte.

„Ey." Ich streckte meine Hand nach dem Handy aus, aber Lukas zog die Hand weg. „Was machst du?"

Kommentarlos und mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte er fast eine Minute aufs Display, ehe er mir mein Handy zurückgab.

„Was war das denn?", fragte ich überrumpelt und verärgert.

„Ich musste mal kurz einen Kontakt und einen Chatverlauf löschen.", sagte er finster.

„Das ist voll übergriffig.", fuhr ich ihn ziemlich sauer an.

„Dann sage doch mal, wie oft du den Verlauf so gelesen hast.", gab er zurück und ich merkte, dass er sich nur mühsam beherrschte.

Oft, sehr oft. Nach der Begegnung am Wochenende erst wieder. Wie, um mir zu beweisen, dass Thomas nicht immer ein Arsch gewesen war. Außerdem hatte ich die ganze Zeit damit gerechnet, dass er mir einen gehässigen Kommentar als Reaktion auf unser Aufeinandertreffen schicken würde. „Manchmal.", sagte ich und merkte selbst, wie defensiv ich klang. „Hast du das mit Inga auch gemacht? Einfach mal alles gelöscht?"

„Du vergleichst Inga mit Thomas?" Er lachte freudlos und hart. „Kim, Inga hat mich verlassen. Das war hart, aber sie hat mir nicht absichtlich das Leben zur Hölle gemacht. Du kannst mir nicht erzählen, dass es gesund ist, nette Erinnerungsfotos an das Arschloch auf dem Handy zu haben. Was versprichst du dir davon?"

„Eine Warnung, nicht nochmal so blöd zu sein.", sagte ich und schaute durch Lukas hindurch. Ich blinzelte die Tränen in meinen Augen weg und hörte, wie er tief ausatmete.

„Was soll dir das Bild denn dann sagen? Achtung, Achtung! Jeder Typ kann potenziell ein Thomas sein!?"

Stur schaute ich weiter durch ihn hindurch. „Vielleicht."

Er ächzte wütend. „Dieser Typ ist offenbar der letzte Dreck, warum auch immer. Ist mir auch scheißegal, aber lass dir doch von dem nicht ruinieren, was da noch so kommt."

Ich kämpfte gegen das Bedürfnis, die Knie an meinen Körper zu ziehen und mich kleinzumachen. Stattdessen trank ich mein Weinglas in einem Zug leer.

„Bist du deswegen hier?", fragte Lukas mit weicherer Stimme, als ich mein Glas abstellte.

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