Als wir anderthalb Stunden später im überfüllten Partyzelt standen und die Musik so laut wummerte, dass man sich nur noch anschreien konnte, hatte ich vorher noch zwei Bier getrunken. Paul hatte mich schwer genötigt, noch ein Wasser zu trinken und ich hatte ihm den Gefallen getan, der streng genommen keiner war. Er hatte sich einfach geweigert, mich sonst noch mitzunehmen.„Warum eigentlich?", fragte ich ihn, kaum zwei Zentimeter von seinem Ohr entfernt, während Malte und seine Freundin Schnaps holten. Ich grinste übermütig, er schüttelte nur lachend den Kopf. „Und warum bist du noch so nüchtern?", setzte ich hinterher.
„Das frage ich mich allerdings auch.", brüllte Malte keine dreißig Zentimeter hinter uns und schob zwei Mädels beiseite, die ihm im Weg standen. Ich hätte wetten können, dass die noch nicht sechszehn waren. „Paul, das geht so nicht!"
Er ignorierte Pauls abwehrende Handbewegung und drückte ihm ein Glas in die Hand. Als er mir meinen Schnaps reichte, ignorierte er Pauls Hände gleich nochmal.
„Prost, Kim. Und sage Paul, er soll sich entspannen." Als auch die beiden Annas und Sophie versorgt waren, machte er den Anfang, hob das Glas und alle tranken. Paul sah dabei alles andere als glücklich aus. Der ganze Abend wäre vermutlich völlig anders verlaufen, wenn Malte sich nicht hartnäckig vorgenommen hätte, mit Paul Spaß zu haben und dabei kräftig nachzuhelfen. Ich zählte nicht mehr mit, wie oft er loszog und neue Getränke holte, aber irgendwann später- ich hatte das Zeitgefühl verloren- stand ich mit den anderen auf der Tanzfläche. So peinlich mir Tanzen sonst auch sein konnte- es war brechend voll, ziemlich dunkel und mein Kopf war aus. Es war wie auf dem Hinweg- ich sah Paul, Malte, die Mädels und meine eigenen Füße seltsam klar, während die Leute um uns herum verschwammen. Wir sangen oder brüllten fast jeden Liedtext mit- die peinlichen besonders laut und überzeugt- und irgendwann angelte sich irgendein Typ Anna Zwei, um mit ihr Discofox zu tanzen. Dafür, dass sie auch nicht mehr nüchtern war, schlug sie sich tapfer, auch, wenn sie immer wieder unglücklich das Gesicht verzog, wenn sie ihm auf den Fuß stieg. Malte feuerte sie ziemlich an, wobei ich mir nicht sicher war, ob sich das nicht eher auf den Typen bezog.
„Ey, ich hoffe, die knutschen heute noch.", brüllte er völlig außer Atem. „Da geht noch was heute!" Er strahlte übers ganze Gesicht und wollte verschwinden, um neue Getränke zu holen, wurde aber von Paul zurückgehalten.
„Die Runde geht auf mich!" Damit zwinkerte er mir zu und tauchte in der tanzenden Menge ab. Er war noch keine Minute weg, da knutschte Anna wirklich ziemlich innig mit ihrem Tanzpartner.
Sophie lachte und deutete auf das Geflecht aus Armen und Beinen hinter uns. „Kein Spaß mit Paul dieses Jahr!"
Egal, wie betrunken ich war und wie vernebelt mein Kopf sein mochte- der Kommentar erreichte mich. Ich blieb stehen und sah sie an. „Wieso?!", brüllte ich gegen den Lärm an.
„Vereinsturnier und Anna und Paul- same procedure as every year." Sie grinste, als sie das sagte und hatte offensichtlich keine Ahnung, dass sie gerade eine Bombe gezündet hatte. Wie auch. Sie explodierte trotzdem in mir. Ich starrte Anna Zwei an, die wieder ausgelassen mit dem braunhaarigen Kerl herumhüpfte. Neben dem lauten Beat hörte ich meinen eigenen Herzschlag in meinen Ohren. Paul und Anna, Paul und Jenny, Paul und ich. Passe auf dich auf. Mein Herzschlag geriet unsanft ins Stolpern.
„Alles gut?" Malte berührte mich an der Schulter. Ich schüttelte meinen Kopf und realisierte, dass ich immer noch stand, meine Augen an Anna geheftet.
„Klar." Damit setzte ich mich mechanisch wieder in Bewegung. In meiner Vorstellung tanzte Anna längst mit Paul, küsste ihn, legte ihm ihre Hand in den Nacken und setzte das Ganze in seinem Bett- das ich nur zu gut kannte- fort. Die Vorstellung brannte heiß auf meinen Wangen, meinem Rücken und hinter meinem Brustbein, als Paul aus der Menge wieder auftauchte, je zwei Becher in der rechten und linken Hand und einen vorsichtig mit dem Ellbogen an den Körper geklemmt. Malte grinste ihm zu und half ihm beim Verteilen. Paul lächelte mir -selbst nach Maltes Vorarbeit mittlerweile beschwipst- zu und ich zog den Becher in dem Moment an, in dem er ihn mir in die Hand drückte auf ex weg. Paul riss entgeistert die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf, Malte und Sophie lachten und ich schüttelte mich atemlos, als ich den Becher wieder absetzte.
„Was zur...?" Hilflos zog Paul die Schultern hoch. „Kim!"
Noch immer atemlos ließ ich die Hand mit dem Plastikbecher sinken, ließ ihn auf den Boden fallen, machte einen großen Schritt auf Paul zu und zog ihn mit einem festen Griff in den Nacken zu mir herunter, um ihn zu küssen. Bevor das Arm-und-Bein-Geflecht es sich anders überlegen konnte, bevor irgendjemand außer mir auf die Idee kommen konnte und bevor er anfing darüber nachzudenken, jemand anderen mit nach Hause zu nehmen, küsste ich ihn. Ich hörte Malte überrascht auflachen und streckte meinen Mittelfinger in die Richtung, in der ich ihn vermutete, während ich meine freie Hand in Pauls Haaren vergrub und dabei fest mit meinen Fingernägeln über seinen Nacken fuhr. Er erwiderte den Kuss, perplex, in der einen Hand immer noch das Bier, die andere legte er beschwichtigend an meine Taille.
„Mache ruhig!", sagte er eindringlich, als er sich von mir löste. „Du bist krass betrunken."
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und raunte ihm gerade laut genug, damit er mich verstehen konnte: „Scheiß auf ruhig!" ins Ohr. „Scheiß auf pass auf dich auf." Ich grinste, legte ihm meine Hand an die Wange und ließ meinen Daumen über seinen Wangenknochen langsam über sein Kinn zu seinem Ohr, hinter sein Ohr streichen. Sichtlich hin- und hergerissen sah er mich an, ehe er sich mit einem Ruck abwandte, Malte- der sein Glück kaum fassen konnte- seinen Becher in die Hand drückte und mich dann an sich zog und küsste. Nicht brav und zurückhaltend, sondern so, dass mir fast die Luft wegblieb und ich das Gefühl hatte, in einem abhebenden Flugzeug zu sitzen, dass unaufhörlich beschleunigte und außerhalb meiner Kontrolle in die Luft ging. Atemlos ging ich darauf ein und fühlte begeistert seine Hände überall auf meinem Körper, in meinem Nacken, auf meinem Rücken, in meiner Taille, an meinem Po und wieder rauf. Das war so skandalös gut und ich hätte am liebsten meinen Kopf in den Nacken gelegt und übermütig gelacht. Seht her- das macht er mit mir, nur mit mir. Besitzergreifend griff ich ihm mit gespreizten Finger in die Haare und spürte seinen rasenden Herzschlag unter seiner Haut. Er war an- und ich spielte damit und genoss es noch mehr. Tanzte mit ihm, eng, Hüfte an Hüfte, schickte meine Hände immer wieder provokant über seinen Oberkörper und warf meine Haare in den Nacken. Er sollte an nichts und niemand anderen denken als an mich und ihn; und so, wie er mich immer wieder ansah, hatte ich keinen Zweifel, dass mein Plan aufging. Ich war längst euphorisch abgehoben, triumphierend über den Wolken, als ich mit einem Blick über Pauls Schulter Simon sah, der an der Theke lehnte, Nika neben ihm. Sie starrte uns böse nieder, während Simon sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln verzog und mir zuprostete, als er meinen Blick bemerkte.
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das auch immer irgendwas oder irgendwer Kim einen Strich durch die Rechnung machen muss 😎
by the way: Kim würde mit nüchternem Kopf den Plastikbecher zum Müll tragen, wie es sich gehört. Derzeit ist sie etwas außer Rand und Band und fühlt sich zu rebellisch für sowas.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...