„Wird sie nicht.", erwiderte meine Mutter schlicht und zwinkerte mir über seinen Kopf hinweg zu. „Und wenn doch, dann wirst du das auch aushalten." Sie kniff ihm fest in die Schulter und ging uns voran in die Küche zurück.
Mein Vater war während des Essens ungewohnt schweigsam und stocherte geistesabwesend in der Reis-Gemüse-Pfanne auf dem Teller vor sich herum. Ab und zu, wenn er glaubte, ich sei mit meinem Essen beschäftigt, sah er mich an, wandte seinen Blick aber doch immer wieder schweigend ab. Felix und meine Mutter sprachen über seine Prüfung und ich testete Löffel für Löffel, ob richtiges Essen schon wieder eine echte Möglichkeit für meinen Magen war.
„Paul hat übrigens mit Malte das Jump-and-Drive gewonnen.", verkündete Felix irgendwann an mich gewandt.
„Cool." Ich lächelte schwach. „Malte hat vorher ernsthaft mit dem Kettcar geübt."
„Passt zu den beiden.", sagte meine Mutter und schüttelte belustigt den Kopf. „Malte und Paul sind solche Spielkinder."
Mein Vater piekste derweil besonders griesgrämig eine Erbse kaputt.
„Papa, was?", stöhnte ich genervt und ließ meine Gabel sinken. „Hast du was zu sagen?" Ich fand ihn einfach nur anstrengend in diesem Moment. Passiv-agressiv, vorwurfsvoll und dabei stumm. Er hob den Kopf und setzte gerade zu einer Antwort an, als es direkt oben an der Wohnungstür klingelte.
„Ich gehe schon.", sagte Felix, sprang auf und hastete auf seinen Socken so schnell zur Tür, dass er fast weggerutscht wäre. Er kam einen Wimpernschlag später zurück und ich atmete erleichtert durch, als ich sah, wen er mitbrachte. Pia folgte ihm, die langen braunen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, in Jeans und T-Shirt, ein entspanntes Lächeln auf den Lippen und herrlich unbelastet. Für einen Moment hatte ich Angst davor gehabt, dass Paul vor der Tür hätte stehen und in die angespannte Atmosphäre hätte hereinplatzen können.
Als Pia lächelnd in die Runde winkte, riss sogar mein Vater sich zusammen und begrüßte sie freundlich.
„Willst du mitessen?", fragte meine Mutter kurzentschlossen und deutete auf die Pfanne auf dem Herd. „Es ist genug da."
„Danke, aber ich wollte eigentlich nur Kim Bescheid sagen, dass Paul und ich zurück und schauen, ob sie fit genug ist, dazuzukommen. So ohne Handy erreicht man sie ja sonst nicht."
„Woher weißt du, dass ich kein Handy mehr habe?", fragte ich.
„Paul hat es wohl gestern noch für dich mitgenommen."
„Ja...gestern war..." Ich brach ab und schob mir die letzte Gabel Reis in den Mund. Wie und was gestern gewesen war, wollte ich am Esstisch lieber nicht weiter ausführen. Außerdem hatte Paul hatte ihr vermutlich längst erzählt, was passiert war. „Ich komme mit runter."
Eilig stand ich auf und räumte meinen Teller in die Spülmaschine, während Pia ganz nebenbei Felix Herz gewann. „Ich habe dir übrigens zugeguckt.", sagte sie zu ihm. „Du bist richtig gut geritten. So schön habe ich Lugar früher nie laufen sehen."
„Ja, der ist sonst ein bisschen faul.", antwortete er und strahlte dabei geehrt. „Danke."
„Was macht dein Pony, Pia?", fragte meine Vater und ich sah ihn zum ersten Mal an diesem Tag aufrichtig lächeln. Er hatte damals Pia und Niro betreut und ich wusste, wie viel Spaß er dabei gehabt hatte, Pia zu unterrichten. Sie hatte Spaß und Talent gehabt und Niro war ein echtes Streberpony gewesen.
„Fett werden.", antwortete sie mit einem schuldbewussten Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Der rollt über die Wiese und freut sich des Lebens. Wenn ich ihn doch mal zum Arbeiten hole, dann schnauft er wie eine Dampflock. Und rotzfrech ist er geworden, so ein richtiger Ponydickschädel."
„Das schöne Tier." Mein Vater griff sich gespielt betroffen ans Herz und seufzte. „Der leidet ja mindestens so sehr wie unsere Rentner."
„Niro ist gerade mal zwölf, Papa." Damit schob ich meinen Stuhl an den Tisch. „Lass uns abhauen, Pia."
Pia konnte es sich auf dem Weg nach unten nicht verkneifen, mein Outfit zu kommentieren und ich war froh, als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss und meine eigenen Sachen anziehen konnte. Ich fühlte mich direkt wieder mehr wie ich, mehr Herr der Lage, weniger wie jemand, der in der Nacht zuvor einen heftigen Vollabsturz erlebt hatte.
„Wo hast du Paul gelassen?", fragte ich, während ich den Reißverschluss meiner Hose zuzog. Pia hatte sich der Länge nach auf mein Bett geworfen und sah mir mit mäßigem Interesse zu.
„Der macht noch die Pferde fertig und räumt Sachen weg."
„Immerhin lebt er noch.", murmelte ich, setzte mich auf meinen Küchenstuhl und zog mir ein paar frische Socken an.
„Wegen gestern?" Pia lachte und setzte sich auf. „Oh Kim, ich hätte dir wirklich nicht zugetraut, dass das mit dir und Pauli auf der Party vom Vereinsturnier- dem Vereinsturnier", sie betonte jedes Wort, „so außer Kontrolle gerät, dass Paul deinem Vater nicht mehr in die Augen gucken mag." Sie hörte auf zu lachen und wurde ernst. „Er ist ziemlich fertig und macht sich echt Vorwürfe."
„Wegen meinem Vater? Der übertreibt gerade."
„Nicht wegen Julian. Deinetwegen, oder euretwegen, oder wegen was auch immer da zwischen euch läuft und was doch eigentlich anders laufen sollte und jetzt hat es aber jeder gesehen und du willst bestimmt nicht mehr und hat er es damit garantiert kaputt gemacht und wer weiß, vielleicht kannst du ihm ja nicht verzeihen, dass er dich nicht gebremst hat...lalala." Sie gähnte und ließ sich wieder der Länge nach aufs Bett sinken. „Tue mir einen Gefallen und bringe seinen Kopf in Ordnung. Ich habe gerade noch Eis und Erdbeeren und Pfannkuchenzeugs gekauft und heute Morgen bin ich um halb sieben losgefahren. Alles, damit Pauli seinen perfekten Geburtstag bekommt. Drehe den Knoten aus seinen Gedanken, sonst war das alles für die Katz."
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Guten Tag, Guten Tag, ich will mein Leben zurück...und so weiter.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...