Highlight hätte schneeweiß sein können, wenn sie ihre Beine nicht von oben bis unten eingeschlammt hätte. Das Abbürsten war ein ziemlich aussichtsloser Kampf und Benthe, die mir den passenden Sattel und die richtige Trense anschleppte, lachte glucksend, als sie meine Versuche beobachtete.
„Lass gut sein, Kim. Das lohnt sich nicht."
Ich schloss mich der Meinung an, sattelte und trenste und ging dann zur Halle herüber, wo Benthe beim Aufsteigen gegenhielt.
„Muss ich irgendwas wissen?", fragte ich sie noch, aber sie schüttelte den Kopf.
„Highlight ist eine ganz engagierte Lady, aber das merkst du schon selbst." Sie lächelte, trat zurück und ich nahm mir die zwanzig Minuten vor der Trainingseinheit, um mich mehr und mehr einzufummeln. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sich die beiden Bereiter von Benthe zu ihr auf die Bank gesellten und nicht weniger neugierig guckten als Benthe selbst, aber nachdem ich angetrabt war und mit der Lösungsarbeit anfing, war meine Konzentration so gefordert, dass ich keine Zeit mehr dafür hatte, ihre Blicke wahrzunehmen. Ich warf stattdessen immer wieder prüfende Blicke in den Spiegel in der Halle, kontrollierte, ob sich mein Gefühl mit dem deckte was wirklich unter mir passierte und ärgerte mich über meine linke Hand, die ich zuverlässig nach spätestens zwei Minuten immer wieder eindrehte. Highlight war, wie von Benthe angekündigt, eine wirklich sehr engagierte Lady- was nichts anderes hieß, als dass sie sehr prompt auf alles reagierte- auf meine Hilfen, auf meine Sitzfehler und auf die Katze, die auf der Bande herumturnte. Ich war wirklich nicht unglücklich, als mein Vater die Reiterin vor mir in den Feierabend entließ, sich mir zuwandte und mir dabei half, ein Gespür für die Stute zu entwickeln. Er ließ mich mit den meisten Lektionen in Ruhe, erarbeitete mit mir ein passendes Grundtempo, ließ mich danach immer wieder das Tempo variieren und wunderte sich mit mir, warum die Stute beim Zirkelverkleinern im Galopp auf der rechten Hand anfing zu klemmen. Er schaute sich das ein paar Mal an, bevor er mich durchparieren ließ und mit einem tiefen Seufzen meinen linken Unterschenkel packte und vom Pferd wegführte. Ich wollte schon triumphierend grinsen, als er das mit meinem rechten Bein wiederholte- und ich augenblicklich einen Krampf bekam, der bis in meine Hüfte hochzog. Es fühlte sich an, als wäre die Bewegung schlicht nicht drin.
„Du klemmst, nicht das Pferd.", stellte er trocken fest, ließ mich, nachdem der Schmerz abgeklungen war, mein Bein selbstständig immer wieder vom Pferd lösen- was eine echte Konzentrations- und Willensaufgabe war und meinen Muskel brennen ließ. Als wir danach die Arbeit wieder aufnahmen, analysierten wir eine ganze Weile, wie ich sitzen musste, um das Problem vermeiden zu können und zum Schluss der Trainingseinheit wackelte ich demonstrativ in der Galopparbeit mit meinem rechten Knie und Highlight belohnte mich dafür, indem sie mir zeigte, wie fantastisch Dressurreiten sich anfühlen konnte. Ich strahlte, als ich die Zügel aus der Hand kauen ließ und das, obwohl mein Oberschenkel und meine Hüfte sich anfühlten, als hätte ich zum ersten Mal Leichttraben geübt.
Am späten Nachmittag fuhren Benthe, mein Vater und ich mit den Hunden zum Strand. Während die beiden vorliefen, ließ ich mich zurückfallen, ließ mir den Wind um die Nase wehen und lauschte den Schreien der Möwen. Ich hätte so gern Paul bei mir gehabt und zückte mein Handy, um ein Foto von der Sonne zu machen, die am Horizont ins Wasser einzutauchen schien. Ich schickte es ihm mit einem knappen „Nächstes Urlaubsziel?", steckte mein Handy wieder weg und beobachtete die Hunde, die mit fliegenden Ohren am Wasser entlang tollten. Benthe, die unter ihrem dicken Wintermantel ihre Thermoleggins und klobige Arbeitsschuhe trug, hakte sich irgendwann bei meinem Vater unter. Sie war so genauso herrlich uneitel und unkompliziert wie ihre Reitanlage. Die Wortfetzen, die der Wind mir zutrug, ließen mich betroffen weiter zurückfallen. Die beiden waren, nachdem der Besuch bisher so unbeschwert gewesen war, beim Tod ihres Mannes angekommen und die Worte „unfair" und „zu früh" wehten zu mir herüber. Bis zu diesem Moment war es so einfach gewesen auszublenden, dass sie unter der freundlich-zufriedenen Oberfläche vermutlich furchtbar traurig und allein war. Vermutlich war es auch diese Erkenntnis, die mich, nachdem wir wieder auf dem Hof angekommen waren und ich warm geduscht auf dem Bett im ehemaligen Kinderzimmer von Benthes Sohn saß, Paul anrufen ließ. Ich wollte einfach nur seine Stimme hören und ja- wissen, dass ich nicht alleine war. Er ging ran und während wir miteinander sprachen, während ich ihm von Highlight und meinem klemmenden Oberschenkel, den Hunden und Benthe erzählte, wünschte ich mich zu ihm. Es war so lächerlich, dass ich mittlerweile nach einem einzigen Tag anfing, ihn zu vermissen und das so sehr, dass ich mich unvollständig fühlte. Irgendwann in diesem Leben war ich mal prima mit mir alleine ausgekommen. Es schien ewig her zu sein.
„Paul?", sagte ich am Ende und wickelte mir eine meiner noch feuchten Haarsträhnen um meine Finger. „Ich...." Ich wollte gerade dazu ansetzen, ihm ein verklärte Liebeserklärung zu machen und ihm im nächsten Atemzug erzählen, auf welche Ideen diese akute Entzugssymptomatik mich brachte, als es an der Tür klopfte und mein Vater den Kopf reinstreckte. Ich war ziemlich froh, in diesem Moment noch nicht beim zweiten Teil angekommen zu sein. Er guckte auch so schon belustigt genug, als er mir Bescheid sag, dass das Abendessen fertig sei und ich brummte eine Entschuldigung in Pauls Ohr und legte auf.
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Ach ja, die Kim ist schon verliebt. Muss das schön und anstrengend sein. 😁
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...