Ich ließ meine Mittagspause ausfallen, um bis sechszehn Uhr alle Pferde gearbeitet und das Sattelzeug für das Turnier am nächsten Tag zumindest grob übergeputzt zu haben. Für mich stand ohnehin nicht viel auf dem Programm: am Samstag eine Springpferde A und ein L-Springen, am Sonntag sollte ich mit Milano das M-Springen reiten. Eigentlich also ein sehr entspanntes Wochenende, zumal wir kaum zehn Minuten hinfuhren. Genau genommen war es fast so gut wie ein freies Wochenende. Als ich um kurz vor vier in mein Zimmer hastete und sicherheitshalber meine Reithose gegen eine Jeans tauschte, weil ich keine Ahnung hatte, was meine Mutter vorhaben mochte, hatte ich Paul den ganzen Tag über kaum gesehen. Wir hatten ein paar flüchtige Worte auf der Stallgasse miteinander gewechselt, als er gerade gesattelt hatte, aber es hatte sich komisch angefühlt. Ich war unsicher gewesen und er seltsam distanziert. Er hatte gefragt, ob ich am Abend mit zum Verein käme und ich hatte ihm davon erzählt, dass meine Mutter irgendetwas mit mir vorhatte und ich ihm deswegen noch nichts versprechen konnte. Er hatte das schlicht mit einem „Oha" kommentiert.
Pünktlich um vier zog ich mir meine Turnschuhe an, als meine Mutter schon in der Tür stand. Mit hochgesteckten Haaren, in Jeans, mit Riemchensandalen und einer sommerlichen Bluse, die ich noch nie an ihr gesehen hatte. Hinter ihr stand Felix und guckte unglücklich.
„Verrätst du mir jetzt, was du vorhast?", fragte ich als ich sie sah.
„Ich brauche einfach mal euren Rat." Sie lächelte unbestimmt. „Kommst du?"
Unseren Rat? Ich konnte mich kaum an eine handvoll Gelegenheiten erinnern, bei denen sie mich um Rat gefragt hatte. „Unseren Rat?", gab ich deshalb eher ungläubig zurück und folgte ihr und Felix aus dem Haus zu ihrem Auto.
„Kaum zu glauben, was?" , erwiderte sie.
„Ich weiß auch nicht mehr als du.", sagte Felix und zuckte mit den Schultern, als ich ihm einen fragenden Blick zuwarf.
„Wohin fahren wir denn?"
„Das werdet ihr sehen."
Während der Fahrt sprachen wir über die Pferde und die anstehenden Prüfungen am Wochenende, aber so richtig war ich mit meinen Gedanken nicht dabei. Mir ging ihre Geheimniskrämerei auf die Nerven und je länger wir fuhren, desto ungeduldiger wurde ich. Wir mussten die Strecke schließlich auch noch zurück und ich wollte wirklich, wirklich dringend vor der Party mit Paul sprechen.
„Weißt du denn schon, wann wir ungefähr zurück sein werden?", fragte ich sie nach einer knappen halben Stunde. Felix hatte derweil seinen Kopf längst demonstrativ gelangweilt gegen das Autofenster gelehnt.
„Hast du es eilig oder weswegen ist das wichtig?"
„Ich will nachher noch zum Verein rüber.", sagte ich und sie lachte.
„Das kriegen wir hin. Die Party endet ja eh nicht vorm Morgengrauen." Sie grinste und ich kämpfte stark gegen den Drang meine Augen zu verdrehen an.
„Vielleicht wäre ich aber gern vorm Morgengrauen da.", sagte ich stattdessen und sie nickte, immer noch sichtlich amüsiert.
„Kriegen wir hin, Kim. Hast du auch noch wichtige Termine, Felix?"
Er schnaubte nur.
Wenige Minuten später hielten wir vor einem Restaurant am Waldrand. Mit einem „Tada, da sind wir.", stieg sie aus und sah uns erwartungsvoll an.
„Wir gehen Essen.", stellte ich irritiert fest. „Wow. Wieso?" Ich konnte nicht verbergen, dass mich das wenig bis gar nicht positiv aufregte. Felix dagegen hob den Kopf und gab den betont gelangweilten Gesichtsausdruck auf. „Essen ist nicht verkehrt." Er schnallte sich ab, streckte sich und warf einen Blick aus dem Fenster, während ich kurz mein Handy checkte, dass keine Neuigkeiten anzeigte. „Oh.", machte Felix just in dem Moment, in dem ich mein Handy wegsteckte und sprang begeistert aus dem Auto. Ich folgte ihm mit meinem Blick, woraufhin auch meine Stimmung sich schlagartig verbesserte. Lukas stand am Eingang und wartete.
Wenig später saßen wir zu viert auf der Terrasse des Restaurants. Ich hatte Lukas bei der Begrüßung gefragt, ob er wusste, weswegen wir hier waren, aber er hatte auch nur den Kopf geschüttelt.
„Weißt du, wo Julian ist?", hatte er mich leise gefragt und ich hatte den Kopf geschüttelt. Nein, ich hatte keine Ahnung, weswegen mein Vater nicht mit uns hier war. Es war komisch, dass alle hier waren, dass meine Mutter offensichtlich sogar Lukas herbestellt hatte und mein Vater fehlte. Mich beunruhigte das, Felix offensichtlich überhaupt nicht. Als wir das Essen bestellt hatten und meine Mutter immer noch nicht damit herausgerückt war, weswegen wir in diesem Restaurant saßen, wurde ich so nervös, dass ich es nicht länger aushielt.
„Ma, kannst du bitte endlich sagen, was wir hier machen?", fragte ich schließlich, nachdem uns die Getränke gebracht worden waren und ich einen großen Schluck von meiner Cola getrunken hatte. Mir war klar, woher meine Nervosität kam. Alle hier vereint, nur mein Vater nicht und sie wollte Rat. Ich hatte zu gut im Kopf, dass die beiden sich schon mal getrennt hatten. Ich war damals zur Grundschule gegangen, Lukas war gerade erst eingezogen, als mein Vater uns gebeten hatte, die Koffer zu packen. Wir waren tatsächlich für einige Wochen oder Monate -so genau konnte ich mich nicht mehr daran erinnern- mit ihm bei meiner Großmutter eingezogen. Er, Lukas, Felix und ich. Seitdem reagierte ich allergisch auf jedes Anzeichen von Schwierigkeiten zwischen den beiden. Meine Alpträume hatten, auch nachdem wir lange wieder zuhause eingezogen waren, noch eine ganze Weile davon gehandelt, dass meine Eltern sich trennen könnten und ich war mehrere Monate lang morgens in ihr Bett gekrabbelt, um mich zu versichern, dass beide da waren und bloß nicht stritten. Wehe, einer von beiden war vorher schon aufgestanden und nicht in Sichtweite- ich war lautstark durchgedreht.
Sie ließ das Weinglas, das sie gerade in die Hand genommen hatte, langsam wieder sinken. Richtig schlau wurde ich aus ihrem Gesichtsausdruck nicht.
„Ich habe ein interessantes Jobangebot.", sagte sie dann und ich sah ihr an, dass sie ernsthaft hin- und hergerissen war. Ihr Blick wanderte nacheinander zu jedem von uns.
Ich schwieg angespannt, Felix schwieg ebenso. Er sah ratlos aus, als wüsste er nicht wirklich etwas mit der Information anzufangen. Einzig Lukas lehnte sich entspannt zurück und trank von seinem alkoholfreien Bier. „Was ist das für ein Angebot?"
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👻🧪⚡ dangerous 👻👻
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...