Ich hielt noch immer den Atem an, als ich langsam nickte und meine Hand an seine Wange legte und vorsichtig mit den Fingerspitzen über den Bluterguss auf dem Wangenknochen strich. „Ja.", hörte ich mich sagen, seltsam klar und ich spürte, dass ich lächelte. Ungeplant, unwillkürlich. Ich sah es in seinen Augen, bevor ich Luft holte, tief atmete. Ein und aus. Als meine Hand von seiner Wange zu seinem Nacken wanderte und ihn zu mir heranzog, schloss ich meine Augen, spürte seine Lippen auf meinen. Sanfter als noch am Wochenende, viel weniger forsch. Der Kuss fühlte sich wahnsinnig zerbrechlich an. Wunderschön und dabei so fragil, dass ich nichts anderes tun, nichts anderes denken konnte, als diesen Kuss. Seine warmen Lippen, die sich auf meinen bewegten. Meine Hand, die federleicht seinen Nacken streichelte. Sein Daumen, seine Fingerkuppen an meiner Wange. Das Kribbeln in meiner Magengegend, nicht weniger zurückhaltend als er, aber so präsent. Ich atmete- ihn und mich, den sandigen Boden unter meinen Füßen, die Sonnenstrahlen. Ich roch Sonnenmilch auf seiner Haut. Ich vertraute ihm und ließ zu, dass der Kuss mich mit sich zog, spürte meine Hüfte an seiner, die warme, nackte Haut seines Bauchs, seiner Brust, seiner Oberarme an meiner. Mein Herz schlug ruhig und fest in meiner Brust, wenige Zentimeter unter seinem. Ruhig löste Paul seine Lippen von meinen und für einen Moment lag seine Nasenspitze an meiner, ehe er sachte meine Stirn küsste. Ich passe auf dich auf. Immer. Er musste es nicht aussprechen. Meine Hand glitt von seinem Nacken herab, bis sie meine andere Hand in seinem unteren Rücken traf und ich lehnte mich ausatmend an ihn. Noch immer hielt ich meine Augen geschlossen und genoss stumm, wie er seine Hand in meine Haare schob, wie seine Finger leicht meinen Nacken streichelten. Wieder ein Kuss auf die Stirn, noch leichter als vorhin. Ich hätte seine Lippen fast nicht gespürt.
„Kim?", flüsterte er.
„Ich will noch nicht.", flüsterte ich zurück und lehnte meine Stirn gegen sein Kinn.
„Was willst du nicht?"
„Auftauchen." Ich legte den Kopf in den Nacken und spürte seine Lippen wieder auf meinen, kurz nur. Ich fühlte mich friedlich. Ich hatte keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal nach einem Kuss so gefühlt hatte, ob ich mich je nach einem Kuss so gefühlt hatte. Es sollte nicht vorbeigehen.
„Schaue mich mal an.", sagte Paul leise und ich kam der Aufforderung widerwillig nach, als ich mit einem tiefen Seufzen meine Augen öffnete und wie schon zuvor in die seinen blickte. Ozeanblau, tiefblau. Immer noch vertraut. Immer noch Paul. Immer noch kribbelte es sachte in meiner Magengrube. „Geht es dir gut?" Ein angedeutetes Schmunzeln lag auf seinem Gesicht.
„Ja.", hörte ich mich sagen und ließ meine Stirn gegen seine Schulter sinken. Ich tat nichts, als ihn festzuhalten, die Sonne auf seiner Haut zu riechen und einfach zu atmen. Er hielt mich fest, kämmte zwischendurch mit seinen Fingern durch meine Haare und wartete, bis ich irgendwann die Hände von seinem Rücken löste, den Kopf hob und einen Schritt zurückmachte.
„Ich habe ein bisschen gebraucht.", sagte ich und sah ihn an. „Ich brauche immer noch ein bisschen."
„Wozu?" Er lächelte, ein bisschen verlegen und ein bisschen nervös.
„Um aus dem Moment rauszugehen." Ich verschränkte meine Finger zaghaft mit seinen. „Bevor ich es tue und es dann wehtut. Weil der Moment...vielleicht nicht echt ist."
„Ist er." Paul küsste nochmal meine Stirn. Ich passe auf dich auf. Immer.
„Ich weiß."
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So geschnulzt habe ich noch nie. 🙈
War das ein annehmbarer erster Hüpfer vom Startblock von Kim?
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...