Beim Abreiten blieb ich die ganze Zeit mit einem halben Auge bei Simon, dessen Gesicht durchgehend den hässlichen Rotton behielt. Ich hätte fast verächtlich geschnaubt, als er mir kurz vor Ende seiner Vorbereitung entgegentrabte und starr durch mich hindurchsah, als sei ich aus Glas. Die ganze Zeit über hatte er sich benommen wie der gute Kollege und nie irgendwas gesagt. Das er dann plötzlich am Freitagabend die Nerven gehabt hatte, mir an den Kopf zu werfen, ich würde meinen Ruf ruinieren und dann heute ernsthaft beim Abreiten versucht hatte mir einzureden, Paul könne niemals treu sein, nur um mir dann noch zu signalisieren, wie verachtenswert ich mich doch verhalten hätte, wie hemmungslos und billig. Das hatte er vielleicht nicht ausgesprochen, aber das hatte ich in seinen Augen gesehen. Arschloch. Das hämmerte immer wieder durch meinen Kopf. Er hätte etwas sagen können, vorher, lange vorher statt so eine beleidigte, verletzende Show hinzulegen, bei der er Paul und mich schön durch den Dreck zog. Ich begann mit dem Warmspringen und beobachtete selbst dabei noch aus dem Augenwinkel, wie er kurz vor seinem Start mit meiner Mutter sprach, die sich scheinbar doch noch dazu herabgelassen hatte, für das M und das anschließende S-Springen vorbeizukommen. Sie winkte mir flüchtig zu, als sie meinen Blick bemerkte und ich hätte ihr liebend gern gesagt, sie solle ihm den schlechtesten Rat geben, der ihr einfiel. Zugegeben, ein kindischer Gedanke, aber ich kochte noch immer. Zu sehr hatte Simon mich in diesem Moment, in dem er sich so angewidert von mir abgewandt hatte, an Thomas erinnert. Dieses abfällige Niedergemache wegen nichts, weil ich nicht wollte, weil sie gekränkt waren wie kleine Jungs, denen man ihr Spielzeug wegnahm. Ich war scheinbar das blöde Feuerwehrauto, die Schippe oder im besten Falle noch das erste Fahrrad. Ruppig parierte ich Milano durch, der abrupt anhielt und richtete ihn rückwärts. Ich spürte die hochgezogene Augenbraue meiner Mutter in meinem Rücken ohne sie zu sehen und versuchte, mit mäßigem Erfolg gegen die Wut anzuatmen und sie nicht an Milano auszulassen.
„Kim!", hörte ich Paul irgendwann scharf rufen und wandte ihm den Kopf zu. Er deutete auf seine Uhr und ich verstand. Ich war dran. Knapp nickte ich, gurtete noch einmal nach und ritt, begleitet von Paul, zum Springplatz herüber. „Alles gut bei dir?", hörte ich ihn neben mir fragen und nickte stumm. Der Knoten in meinem Magen war einem wütenden Bienenschwarm gewichen und als wir Simon entgegen kamen, stachelte sein Anblick mich- oder die Bienen- nur zusätzlich an. Er sah nicht glücklich aus und ich hoffte inständig, dass es für ihn mies gelaufen war. Milano kaute angespannt auf seinem Gebiss herum und ich strich ihm flüchtig, fast automatisiert über den Hals.
„Der guckt nicht so, als hätte er sein Sofa vernünftig geritten bekommen.", flüsterte Paul mir schadenfroh zu, als ich am Einritt darauf wartete, einreiten zu dürfen.
„Das hätte ich ihm auch nicht gegönnt.", gab ich kühl zurück und spürte Pauls verwunderten Blick zu mir hochschnellen.
„Was...?", hörte ich ihn noch fragen, aber ich ritt schon an ihm vorbei in den Parcours.
Erfüllt von grimmiger Zufriedenheit hatte ich Milano nach der Siegerehrung zum Anhänger gebracht, ihn abgesattelt, ihm Wasser gegeben und ihm noch ein neues Heunetz aufgehängt. Mein Turnierjacket und meine Stiefel hatte ich schon in den Kofferraum gelegt und bevor ich die Klappe zuschlug, warf ich noch die goldene Schleife obendrauf. Ich hatte dieses verdammte, piselige M-Springen im Stechen gewonnen und den resignierten Blick von Simon genossen, der mit angespanntem Kiefer und zusammengekniffenen, kleinen Augen dabei zugesehen hatte, wie Paul mich nach dem Stechen triumphierend geküsst und mir dabei „wusste ich's doch" ins Ohr geflüstert hatte, bevor er eilig Rasputin geholt hatte, um ihn für das S-Springen abzureiten. Meine Mutter hatte sich mehr gefreut als ich und mich euphorisch in eine ziemlich wilde Umarmung gezogen, bei der ich zwischenzeitlich den Boden unter den Füßen verloren hatte. „Siehst du, du hast es nicht verlernt!", hatte sie dabei mehrfach ganz aufgelöst gesagt, als würde sie das insgeheim mehr beruhigen als mich. Zugegeben, das Springen war nicht schwer gewesen, hier zu gewinnen war nicht schwer gewesen, aber nachdem ich mich fürs Stechen qualifiziert und dabei immer noch diese wahnsinnige Wut im Bauch gespürt hatte, hatte ich dort einfach durchgezogen. Ich hatte mich auf meine Weise an Simon rächen oder ihm oder Thomas oder auch nur mir meine Überlegenheit beweisen müssen. Ich hatte darauf vertraut, dass die erste Distanz die ich sah passte, dass Milano sprang, dass er wendete und er hatte mich nicht enttäuscht. Ich hatte mich nicht enttäuscht und das erfüllte mich mit einer dunklen, aber tiefen Zufriedenheit.
Ich warf noch einen letzten Blick in den Anhänger und auf Milano, der ruhig stand und sein Heu aus dem Netz zog. „Du dickes Pony, du.", sagte ich, kletterte doch nochmal zu ihm in den Anhänger, kraulte lächelnd seine Stirn, ordnete seinen Schopf und steckte ihm noch ein Leckerchen zu. „Du hast meine Ehre gerettet." Mit diesen Worten drückte ich ihm einen Schmatzer auf seine Nüstern und ging befreit zurück zum Springplatz, um Paul und Rasputin zuzusehen.
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Was wäre Kim wohl ohne die Pferde? :D
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...