Part 131

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Während Paul duschte, quälte ich mich aus dem Bett, machte in der Küche die Reste der Gemüselasagne vom Vorabend warm und räumte mit einem riesigen Kloß im Hals die ersten Sachen zusammen. Wir würden morgen zurückfahren, die Ferienwohnung musste bis um elf geräumt sein. Den letzten Abend hatte ich mir anders vorgestellt, ganz sicher war ich nicht davon ausgegangen, alleine und mit verweinten Augen die Ferienwohnung, deren Gemütlichkeit mich jetzt fast verhöhnte, aufzuräumen und unsere Sachen zusammenzulegen. In diesem Moment hätte ich so gern irgendjemandem die Schuld daran gegeben, wie die Dinge jetzt lagen. Jenny etwa, weil sie ernsthaft Herzen verschickte. Meinem Vater, weil der mir erzählt hatte, ich solle auf mich aufpassen und mich damit bestimmt so verunsichert hatte, dass ich gar nicht anders gekonnt hatte. Oder meine Mutter, weil sie ständig am Handy meines Vaters hing und mir damit bestimmt vermittelt hatte, dass sowas okay war. Aber- und für die Erkenntnis musste ich echt nicht tief graben- das stimmte einfach nicht. Ich musste halt aushalten, wenn Jenny als Reaktion auf süße Kinderbilder ein Herz schickte; mein Vater war halt mein Vater; und wenn meine Mutter mal wieder mit seinem Handy auf dem Sofa lag, dann hatte das nichts mit einer Geheimaktion gemeinsam. Ich konnte das nicht abwälzen- ich hatte das verbockt, so mies wie es sich auch anfühlte. Und während ich alleine vor der Mikrowelle stand und dabei zusah, wie das Essen sich langsam im Kreis drehte, fühlte es sich richtig mies an.

„Ist noch was übrig?"

Ich fuhr heftig zusammen, als ich Pauls Stimme hörte. Er hatte seine Jogginghose und ein dunkelblaues Sweatshirt angezogen, das feuchte Handtuch lag noch über seinen Schultern, sein Blick wich meinem immer noch aus, aber die Feindseligkeit war aus seiner Stimme gewichen.

„Klar doch.", sagte ich hastig, wartete auf das erlösende „Ping" der Mikrowelle, teilte ziemlich ungleich und schob Paul den Teller mit der wesentlich größeren Portion zu. Mein Magen knurrte laut, als wolle er sich schon im Vorhinein beschweren und Paul, der mit einem halben Meter Abstand von mir am Küchenschrank lehnte, zog eine Augenbraue hoch und ächzte leise.

„Nimm dir noch was."

„Passt schon, echt."

Kommentarlos griff er in die Besteckschublade, holte zwei Gabeln heraus, trennte mit der einen ein Stück von seiner Lasagne ab und schob sie auf meinen Teller rüber. „Sei nicht dumm, Kim.", sagte er schroff, als ich zum Protest ansetzen wollte. Ich schloss meinen Mund wieder. Dumm genug war ich ja schon gewesen.

Wir aßen stillschweigend am Küchentisch, aber schon nach der Hälfte meiner Portion fing ich stumm an zu weinen. Die Stille zwischen uns, die Distanz zwischen uns: beides tat weh. Ich wischte mir meine Augen am Pulloverärmel ab, hielt immer wieder die Luft an und kein Laut kam über meine Lippen. Paul sah mich kurz an, aß dann aber ungerührt weiter- Höchststrafe. Erst, als er sein Teller leer war und er aufstand, um ihn in die Spülmaschine zu räumen, legte er mir im Vorbeigehen seine Hand auf die Schulter. „Lass uns schlafen gehen.", sagte er leise, müde. Ich zögerte keine Sekunde, ihm nach oben zu folgen.

Oben redeten wir- erst mit Sicherheitsabstand, jeder auf seiner Bettseite. Ich entschuldigte mich nochmal, ernsthafter und mit ruhigerem Kopf. Und er fragte nochmal- ebenfalls ruhiger- warum ich ihn nicht einfach gefragt hätte, was es mit dem ominösen Herz auf sich gehabt hätte. „Frage mich sowas doch. Oder glaubst du, ich lüge dich an?" Über die Frage dachte ich ehrlich nach. Warum hatte ich ihn nicht einfach gefragt? Weil ich mir doof vorgekommen wäre, ganz wie die eifersüchtige Freundin, die ihrem Freund nicht über den Weg traute.

„Das ist mir tausendmal lieber als die Freundin, die mir so wenig traut, dass sie mir nachspioniert.", gab Paul auf meine Antwort zurück und seufzte tief. „Kim, wir wohnen im gleichen Haus, wir arbeiten zusammen, du schläfst quasi jede Nacht bei mir- und ich liebe das. Aber kannst du mir verraten, was du noch brauchst, damit du mir vertraust? Ich fahre hierher mit dir, ich bin im Sommer, als das alles noch in der Schwebe hing zu deinen Eltern gelaufen und habe das hier eingefädelt. Weißt du, wie...wie viel Überwindung das gekostet hat? Ich nehme dich mit zu meinen Eltern und esse neben deiner schwer gestörten Großmutter Kartoffelklöße. Was noch?"

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