Ich wusste nicht, ob mich das erleichtern sollte oder nicht und lauschte darauf, dass sich die Schritte der beiden entfernten. Fuck. Ich seufzte leise. Ich wusste, dass ich mich entschuldigen musste und ich wollte es hinter mich bringen. Nicht, weil ich glaubte, dass dann alles wieder in Ordnung sei, aber weil ich es sagen wollte, weil ich es tatsächlich meinte.
Langsam richtete ich mich auf, verließ Lolos Box und ging zu Paul herüber, der Rasputin gerade die Gamaschen abnahm.
„Was willst du?", fragte er scharf, als er mich sah und verharrte in der Bewegung. Jede Faser seines Körpers verbot mir, auch nur einen Zentimeter näher zu kommen.
„Mich entschuldigen.", sagte ich und presste die Lippen aufeinander. „Für gestern. Für den Spruch."
Sehr langsam kam Paul näher und irgendetwas an der Art wie er auf mich zukam, ließ mich die Gamaschen in seiner Hand im Auge behalten. Als ob ich Angst davor hätte, er könnte sie mir ins Gesicht werfen. „Für den Spruch?"
„Ich weiß, dass das nicht okay war." Hilflos zuckte ich mit den Achseln. „Paul, es tut mir leid."
„Dieser dumme Spruch hat mir wenigstens gezeigt, wie du über mich denkst."
„Das ist jetzt nicht dein Ernst.", platzte er aus mir heraus. „Du glaubst nicht wirklich, dass ich..." Das ich was? Ich hielt inne. Das ich glaubte, dass es ihm sonst wirklich nicht wichtig war vorher zu klären, was genau zwischen ihm und den Mädels lief? Ob da Gefühle im Spiel waren oder nicht?
„Was glaube ich nicht wirklich?" Er stand einen knappen Meter vor mir entfernt, die eine Hand an der provisorischen Boxenwand von Rasputin, in der anderen noch immer die Gamaschen. „Dass du gesagt hast, wir könnten doch mal ganz unverbindlich rummachen, so wie ich es ja sonst scheinbar ständig mache?"
„Du bist unfair- das habe ich nicht gesagt!"
„Nachdem ich mir angehört habe, was in München passiert ist. Nachdem ich dir gesagt habe, dass ich für dich da sein will. Nachdem ich dir gesagt habe, dass wir das hinkriegen können, wenn du nur willst. Nachdem du nein gesagt hast und dann angefangen hast mich zu küssen, hast du mir gesagt, dass ich ja wahllos mit jeder rummache und..."
„Du übertreibst, das...", versuchte ich ihn zu unterbrechen, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.
„...und dir dabei was gedacht? Das du auch mal willst? Vielleicht?"
Schweigend standen wir uns gegenüber und ich wollte nicht begreifen, was gerade passierte. Zwischen ihm und mir zerbrach in diesem Moment etwas, von dem ich wusste, dass es sich nicht würde reparieren lassen. Das Wissen, dass wir einander vertrauen konnte, auch, wenn wir Streit hatten. Das unerschütterliche Gefühl, trotzdem Freunde zu sein und sich deswegen am Ende des Tages wieder zu versöhnen. Es war genau dieser Moment, vor dem ich so wahnsinnige Angst gehabt hatte. Trotzdem weinte ich nicht. Ich stand wie gelähmt da und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
Es ist einfach der Moment gewesen. Der Moment zusammen mit dieser Idee, die sich auf einmal gar nicht mehr abwegig angefühlt hatte. Das wollte ich sagen, aber es kam nicht über meine Lippen. Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass es ihm als Erklärung nicht reichen würde. „Wenn ich mich richtig erinnere, lag deine Hand plötzlich an meiner Hüfte.", hörte ich mich stattdessen sagen und wollte es schon zurücknehmen, während ich es noch aussprach.
„Pass auf.", zischte er und machte einen großen Schritt auf mich zu. „Lass mich was für dich klarstellen. Du hast das gestern angefangen. Du hast dir deine Bestätigung geholt. Dank dir habe ich jetzt im Kopf, wie..." Er brach ab und für einen Moment meinte ich, ein verdächtiges Schimmern in seinen Augen zu sehen. „Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin.", fügte er hinzu.
„Dann kannst du ja einfach wieder Jenny vögeln, wenn dir eh nicht passt, woran du bist.", fauchte ich ihn an, einfach, weil ich ihm wehtun wollte, weil ich diesen Vorwurf, ich hätte mir Bestätigung holen wollen, so wahnsinnig unfair fand.
„Hau ab, Kim." Der Ausdruck in seinen Augen wurde mit einem Schlag kalt und er drehte sich um und ging zurück zu Rasputin. „Ich habe dir nichts zu sagen."
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Eine mit einem großen Talent für diplomatische Gespräche und ein friedfertiges Gegenüber
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...