Part 79

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Simon musterte mich von oben bis unten, während ich beim Stehenbleiben erstmal einen Schritt zur Seite machten musste, um nicht umzufallen. „Noch nicht ganz."

„Wäre aber besser, oder? Kannst ja kaum noch stehen."

„Klappt noch prima.", log ich und reckte das Kinn. Er ging mir auf die Nerven, so, wie er da stand. Überheblich, fast mitleidig lächelnd.

„Paul hält dich ja auch schon den ganzen Abend gut fest. Mich wundert, dass er seine Hände überhaupt noch von dir lässt." , sagte er bissig.

Ich stöhnte genervt auf und vergrub meine Hände in meinen Hosentaschen. „Simon, das geht dich nichts an."

„Ist jedenfalls eine heiße Show. Ihr solltet Eintritt nehmen. Zieht er dich gleich noch aus? Und macht er das während alle zugucken oder doch lieber zuhause?" Bei diesen Worten ließ er das falsche Lächeln fallen. Mir wurde bei seinen Worten ziemlich schlecht und ich hätte nicht sagen können, ob es daran lag, was er sagte oder daran, dass mein Körper einfach zu viel hatte. Zu viel Alkohol, zu viel Tanzen, zu viel Drama.

„Was soll das denn?", fuhr ich ihn an. „Bist du die Sittenpolizei oder warum machst du so einen Aufstand?"

„Du machst dich lächerlich.", sagte er und schüttelte missbilligend den Kopf. „Alle kennen sich und alle kennen dich. Paul mag das egal sein, der hat seinen Ruf ja eh weg. Aber dir?"

„Bist du neidisch?", platzte es aus mir heraus, nicht etwa, weil ich das glaubte, sondern weil ich nicht verstand, was gerade passierte. Simon und Paul, das ging halt meistens nicht gut, aber Simon und ich war doch nie ein Problem gewesen. Er war eigenbrötlerisch, gut, ein bisschen kritikunfähig, aber doch kein Arsch. „Oder warum stört dich, ob ich- ich alleine- bestimme, ob ich meinen Ruf zerlege? Welcher Ruf ist das außerdem bitte? Jungfrau Maria?"

„Du erzählst jedem, dass er nur ein Freund ist. Du erzählst mir, dass er dir viel zu wichtig ist, um was mit ihm anzufangen. Dann stehst du hier und machst so heftig mit ihm rum, dass einem beim Zuschauen schlecht wird?!" Verständnislos funkelte er mich an, die Hände zur Faust geballt.

„Dann gucke halt weg.", brüllte ich los und merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. „Niemand zwingt dich, mich anzugucken." Ich begriff es nicht, wirklich nicht. „Gucke ne andere an, gucke Nika an- es ist mir egal. Ich gucke dir doch auch nicht nach, wenn du mit irgendwem rummachst. Das interessiert mich nicht und das geht mich nichts an, verstehst du?"

Simon rollte seine Schultern nach hinten und stellte sich gerader hin. „Heule dich nicht aus bei mir. Du bereust das morgen früh."

„Was?" Hilflos schüttelte ich den Kopf. „Ich heule mich nicht aus bei dir- das habe ich noch nie gemacht. Ich kenne dich kaum." Überwältigt von der Absurdität dieser Szene musste ich lachen. „Das ist so lächerlich gerade." Damit stapfte ich an ihm vorbei. Was bildete er sich eigentlich ein? „Du bist so ein Arschloch, Simon!", rief ich noch mit zitternder Stimme nach hinten, aber als ich mich umdrehte, sah ihn schon nicht mehr. Shit- was war das bitte gewesen? Ich brauchte frische Luft, dringend. Eilig stolperte ich nach draußen, schaffte es irgendwie zur Toilette und machte auf dem Rückweg alleine in der Dunkelheit Pause am Springplatz. Meine Beine fühlten sich an wie Gummi und gehorchten mir nicht mehr so recht und der Boden unter meinen Füßen fuhr Karussell. Ich krallte meine Finger um die Umzäunung, stützte meine Unterarme auf und legte meine Stirn ab. Mir war speiübel und auf dem Klo hatten alle Schlange gestanden- ich hatte dort nicht kotzen wollen. Nicht, vor den Augen und Ohren aller. Ich hatte mir eingebildet, ihre Blicke auf mir zu spüren, während ich mit ihnen in der Schlange gewartet hatte und mich gefragt, ob Simon Recht hatte, ob wirklich alle mich anstarrten und die „Show" mit Paul verfolgt hatten. Ich war so dumm. Jetzt, wo ich frische Luft einatmete und die Musik nur noch aus der Ferne hörte, fühlte ich mich mit einem Schlag wenig euphorisch. War ich wirklich so schlimm eskaliert? Bevor ich realisierte, dass ich weinte, hörte ich mein eigenes Schluchzen und bevor ich versuchen konnte, dass unter Kontrolle zu bringen, ging ich in die Knie und übergab mich heftig. Eindeutig zu viel Alkohol, zu viel Tanzen und zu viel Drama. Wieder und wieder krampfte sich mein Magen schmerzhaft zusammen und ich blieb auf dem Boden, auf meinen Knien, während mir kalter Schweiß auf die Stirn trat und mein Kopf anfing zu hämmern.

„Hey, brauchst du Hilfe?" Irgendjemand, eine Frau, trat hinter mich, aber ich schüttelte nur den Kopf.

„Geht schon, mir ist nur schlecht, bin gleich wieder fit."

„Sicher?" Sie klang nervös und ich betete, sie möge einfach weggehen. Ich, spuckend auf meinen Knien, das war ein Bild, von dem ich wirklich nicht wollte, dass es sich herumsprach.

„Alles gut.", brachte ich mühsam hervor, bevor ich mich erneut übergab. Als ich hörte, wie sich ihre Schritte auf dem Rasen entfernten, sackte ich zusammen und ließ mich auf die Seite fallen. Das Karussell hatte richtig Fahrt aufgenommen und ich krallte meine Finger ins Gras, um mich an irgendetwas festhalten zu können. Ich wollte nur noch nach Hause. Ich hätte Pauls Vorschlag annehmen sollen. Nicht erst den zweiten, sondern den ersten. Und ich wollte, dass es aufhörte. Irgendjemand musste dieses Karussell für mich anhalten.

„Kim?" Irgendjemand zog an mir. „Kim!" Stimmen, aufgeregt, besorgt, wütend. Pause. Eine Hand auf meinem Rücken, in meinem Haar. Dann wurde ich auf die Füße gezogen. Ein Auto, eine Haustür. In meiner Hand noch immer die Grashalme und immer, immer wieder übergab ich mich, bis ich nur noch Galle spuckte. Wasser, dass auf mich einprasselte. Dann war es endlich vorbei.


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Und die Moral von der Geschicht': zu viel Trinken lohnt sich nicht.

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