„Du traust mir ja nicht einmal, wenn du jeden meiner Schritte beobachten kannst. Wie willst du das erst hinkriegen, wenn du dauerhaft keine Ahnung hast, was ich mache, hm?", fuhr er mich an, als ich betreten auf meine Finger sah. Ich hätte ahnen können, dass das Thema uns noch einmal einholen würde. Jetzt, hier, in dieser Heftigkeit- darauf war ich nicht vorbereitet und es traf mich umso schmerzhafter, weil ich wusste, wie eifersüchtig ich war und weil mir ja bei dem Gedanken daran, monatelang nicht wirklich zu wissen was er tat, wirklich schwummerig wurde. Er kniff die Augen wütend zusammen, als ich nach wie vor nichts erwiderte.
„Es sind doch nur ein paar Wochen.", murmelte ich und bereute noch im gleichen Moment, was ich da sagte.
„Ein paar Wochen?" Paul stieß sich von der Wand ab, machte einen Schritt auf mich zu und legte seinen Kopf schief, ein spöttisches, freudloses Lächeln auf seinem Gesicht. „Du hast davon geredet, dass du von Februar bis August wegwillst. Das ist eher so ein halbes Jahr, meinst du nicht?"
„Ich weiß doch noch gar nicht, was Benthe dazu sagen würde.", versuchte ich mich zu verteidigen, aber ich spürte deutlich, wie Pauls Zündschnur trotzdem kontinuierlich weiter abbrannte und ich längst nichts mehr tun konnte, um gegenzusteuern. Vielleicht war es der Mut der Verzweiflung, der mich von Verteidigung auf Angriff schalten ließ und ich deswegen auf sein verächtliches Schnauben hin fragte, ob meine oder seine Eifersucht das eigentliche Problem war. Er starrte mich einen Moment fassungslos an. Vermutlich war das die Latenzzeit, mit der Explosion zündete.
„Du sprichst davon, dass ich eifersüchtig bin? Du? Nachdem du nicht nur in meinen Chatverläufen rumwühlst, sondern auch noch mit Pias Mitbewohner rummachst? Geht's noch?"
„Das ist so nie passiert!", fauchte ich und stand selbst auf. Die Ungerechtigkeit konnte ich nicht im Sitzen aushalten und ich verschränkte meine Arme ebenso hart und unversöhnlich vor der Brust wie er. „Du weißt, dass..."
„Knutscht du in Renesse dann wieder mit irgendeinem beliebigen Typen? So ganz versehentlich? Und ich muss das dann abhaken und vergeben, weil es ja einfach passiert ist? Einfach so? Weil bestimmt irgendein Kerl daher kommt und dich völlig random küsst? Einfach so?" Er wurde mir jedem Satz lauter und ich sah, wie er nicht nur dagegen ankämpfte, nicht auch noch das letzte bisschen Beherrschung zu verlieren. Dazu fuhr er sich zweimal zu oft mit dem Handrücken über die Augen.
„Ich habe..."
„Lässt du dich auch versehentlich ausziehen?" , fragte er knapp und funkelte mich so unnachgiebig an, dass ich mich fragte, wie viel Sinn es eigentlich hatte, das Thema mit ihm zu diskutieren.
„Du bist gerade jedenfalls absichtlich ein Arsch." Meine Stimme zitterte und ich verbot mir, in Tränen auszubrechen. „Du weißt genau, dass in Berlin nichts passiert ist. Du weißt genau, dass..."
„Was weiß ich genau? Bei dir weiß man nichts genau. Ich dachte, wir hätten einen Plan..."
„Welchen Plan denn?", fragte ich und ließ meine Arme sinken. Wovon bitte sprach er?
Er schwieg und war dieses Mal den Bruchteil einer Sekunde zu langsam mit seiner Hand, um die Träne zu verbergen. Er presste seine Lippen fest aufeinander und wandte seinen Blick von mir ab.
„Wie soll ich mich an irgendeinen Plan halten, von dem ich nichts weiß?! Ich habe keine Ahnung, wovon du überhaupt sprichst!" Mehr ratlos als amüsiert lachte ich auf. „Du redest nicht ernsthaft von diesem Turnierding, oder? Der Plan ist seit einer ganzen Weile vom Tisch. Tut mir Leid, wenn ich da deine Erwartungen nicht ganz erfülle." Ich verstand ihn nicht. Ich verstand nicht, was Renesse noch damit zu tun hatte, dass ich keine Turniere mehr reiten wollte. Er hatte doch hinter mir gestanden. Er hatte die Entscheidung mitgetragen. Er hatte es doch gesagt: glückliche Kim sticht Lebensentwurf. Das waren seine Worte gewesen, nicht meine. Wenn ihm jetzt plötzlich auffiel, dass das so nicht aufgehen würde, dann war das nicht mein Problem.
„Es geht nicht um dieses beschissene Turnierding.", sagte er leise und sank bei den Worten langsam in sich zusammen, bevor er sich aufs Bett setzte. Er sah aus, als sei ihm schlecht und als sei ich der Anlass dafür. „Darauf kann ich verzichten."
„Darauf kannst du verzichten? Edelmütig von dir.", spottete ich.
„Ich habe gedacht, dass..." Er brach ab und rieb sich die Augen. „Vergiss es."
„Was dachtest du, Paul? Abgesehen davon, dass ich mich bei jeder Gelegenheit ausziehen lasse."
Er brauchte eine ganze Weile, bevor er antwortete und er vermied den Blickkontakt so sorgfältig, als sei ich ein Basilisk. „Silvester.", brachte er gepresst hervor.
„Was ist mit...?", setzte ich an und wollte schon demonstrativ mit den Augen rollen, als es mir schmerhaft dämmerte. Schmerzhaft, weil ich über ihn gelacht hatte, als er von dem Plan geredet hatte. Und es hatte da Pläne gegeben. Wilde, verwegene Pläne, geschmiedet auf Wolke Sieben, die nach einer Flasche Sekt noch so viel höher gestiegen war. Wir hatten geträumt und beide – unter dem Schutzmantel von Floskeln wie viel zu früh ausgesprochen, was wir uns sonst nie getraut hätten. Ich nahm diese Träume ernst und wäre im Leben nicht darauf gekommen, darüber zu lachen. Ich hatte so große Angst, dass jemand mich für unsere Pläne auslachen könnte, dass ich es gerade so schaffte, mit Paul darüber zu reden. Selbst Pia gegenüber schwieg ich mich darüber aus wie ein Grab. „Dazu stehe ich doch auch.", sagte ich leise und ging vor ihm in die Hocke. „Paul, ich...Das sind Träume. Ich will das. Aber doch nicht jetzt." Ich hob meine Hand, um sie auf sein Knie zu legen, zog sie zurück und legte sie schließlich doch auf sein Bein. Er schob sie weg, stand wieder auf und ging an mir vorbei zum Esstisch, wo er sich in sicherer Entfernung auf einen der Stühle fallen ließ. „Paul...wenn ich zurück bin. Lass uns...lass und dann zusammenziehen. Wenn es dir darum geht."
„Veraschst du mich?" Fassungslos schüttelte der den Kopf. „Wenn es mir darum geht? Dann ziehst du mit mir zusammen? Ich lasse dich nach Renesse gehen und als Entschädigung ziehst du mit mir zusammen? Wow."
„Du weißt, dass ich das so nicht meine." Erschöpft ließ ich mich auf seinem Bett nieder und sah ihn an. Immerhin wich er meinem Blick nicht länger aus. Auch wenn es das, was er als nächstes sagte, noch schlimmer machte.
„Ich habe keine Ahnung, was du wie meinst. Ich habe keine Ahnung, ob du es dir dann nicht wieder anders überlegst. Ich habe keine Ahnung, ob du dazu stehst, was wir bereden. Ich habe keine Ahnung, ob du da drüben nicht versehentlich deine Klamotten verlierst oder ob du überhaupt zurückkommst. Ich weiß es echt nicht mehr." Er hob die Schultern als wolle er sagen Sorry, Vertrauen ist nicht drin. Was es scheinbar auch nicht war.
„Dann weiß ich nicht, warum ich gerade hier bin.", erwiderte ich mit dünner Stimme und der Satz, der eigentlich eine Frage war, blieb in der Luft hängen.
Paul schwieg und es war eben dieses Schweigen, dass mir dann doch die Tränen in die Augen trieb. Ich schluckte mein Schluchzen hinunter, während ich kommentarlos aufstand, meinen Pullover und mein Handy griff. Er rührte sich nicht, auch dann nicht, als ich an der Tür für einen kurzen Moment verharrte und so sehr hoffte, er würde etwas sagen. Als das ausblieb, drückte ich die Türklinke nach unten und ging.
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Autsch auf so vielen Ebenen.
Kim hat sich echt bemüht und ist trotzdem ins Fettnäpfchen getreten.
Und Paul ist offensichtlich nicht weniger eifersüchtig als Kimmi selbst. Und kann offensichtlich nicht nur die Handygeschichte nicht so gut abhaken.
Kann ihn irgendwer verstehen oder seid ihr Team Kim? ;)
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...